Sommernachtszauber
am anderen Ende der Hauptstraße überredete Jennifer Lance dazu, sie finanziell dabei zu unterstützen, sich ebenfalls selbstständig zu machen. Glücklicherweise betrieb Lance ein kleines Bauunternehmen, sodass die umfassenden Renovierungsarbeiten im ehemaligen Juicy Lucy’s nicht so teuer wurden wie unter anderen Umständen. Doch bevor Lance irgendetwas hatte verändern dürfen, war Jennifer durch zahlreiche Salons in Berkshire gezogen, hatte Händlermessen besucht, alle möglichen Einrichtungsmagazine durchgesehen, sich mit Farbberatern abgesprochen und die allerneueste Ausstattung kommen lassen, mit dem Ergebnis, dass Beauty’s Blessings nun weit und breit das prachtvollste, luxuriöseste und allermodernste Ambiente zu bieten hatte.
Sukie hob einen der hauchdünnen pfirsichfarbenen Vorhänge und spähte aus dem Fenster. Ringsum wirkte alles überaus grau und freudlos kalt. Einkaufende auf dem Weg zum Supermarkt Big Sava eilten mit gegen den Wind gesenkten Köpfen vorbei, und ihre roten Nasen bildeten den einzigen Farbtupfer in ihrem von der Bommelmütze bis zu den Stiefeln einheitlich hellbraunen Aufzug. Vielleicht schneit es bald, dachte Sukie. Sie hoffte es. Hazy Hassocks sah viel hübscher aus, wenn Schnee lag.
Hazy Hassocks, mit einer gewundenen, von Platanen gesäumten Hauptstraße und verschiedenen Geschäften und kleinen Betrieben, war ein großes Dorf, wenige Meilen von Sukies Zuhause in Bagley-cum-Russet entfernt. Hierhin kamen die Einwohner von Bagley ebenso wie die Leute aus dem benachbarten Weiler Fiddlesticks zum Einkaufen und geselligen Beisammensein. In Winterbrook, dem nächstgelegenen Marktflecken, gab es größere Supermärkte, Banken und andere städtische Annehmlichkeiten, während Reading als schicke Stadt galt und ausschweifenden Einkaufsorgien vorbehalten war.
Wenn die alten Römer sich mehr mit diesem Teil des Landes beschäftigt hätten, anstatt ihre Anstrengungen auf den Straßenbau am Ridgeway zu konzentrieren, hätte man innerhalb weniger Minuten von einem Ort zum anderen kommen können. So aber bildeten die kurvenreichen Straßen verschlungene Windungen, die oft wieder zu sich selbst zurückführten, und obwohl die Orte auf einer Landkarte nur Zentimeter voneinander entfernt zu sein schienen, sah die Wirklichkeit ganz anders aus.
Jennifer hatte die komplizierte Geografie genutzt, um sich in der Kosmetikbranche zu etablieren. Es gab meilenweit keine Konkurrenzbetriebe.
»Danke, Jennifer. Du bist ein Engel.« Dankbar nahm Sukie den Kaffee. »Als die Jüngere sollte ich hier eigentlich den Kaffee machen. Und aufkehren und die Handtücher waschen und -«
Jennifer lachte, soweit das Lifting ihrer Augenpartie es zuließ. »Wenn die Aromatherapie gut ankommt, können wir es uns bald leisten, für so was eine richtige Hilfskraft einzustellen. Ich dachte daran, in der Berufsschule in Winterbrook anzufragen, ob sie mir nicht tageweise Studentinnen aus dem Abschlussjahrgang schicken wollen. Denen müssen wir auch nicht viel bezahlen, weil sie hier natürlich wertvolle praktische Erfahrungen sammeln.«
Ja, natürlich. Jennifer hätte selbst dem Geizkragen Shylock noch ein paar Tricks beibringen können. Kinderarbeit wäre genau ihr Ding.
Sukie wanderte zur Theke, nippte an ihrem Kaffee, wartete darauf, dass das Koffein Wirkung zeigte, und studierte inzwischen den Terminkalender. Er war ganz schön voll.
»Soll ich nicht mal nach Mrs Fellowes sehen? Sie ist bestimmt schon seit Stunden in der Kabine.«
Jennifer schüttelte den Kopf. Ihr mahagonifarbener Bob blieb unbewegt. »Ich lasse sie noch ein paar Minuten länger drin. Die Seetang-Packung ist zwar gut – aber so gut nun auch wieder nicht. Ich fürchte, Jahre voller Fastfood und Bier haben bei ihr unauslöschliche Spuren hinterlassen. Was sie eigentlich bräuchte, wäre eine Ganzkörpertransplantation … Du kannst Chelseas Nagelverlängerung machen, wenn du magst. Sie kommt bald zu einer Rundumerneuerung – ich glaube, sie möchte diesmal ein Motiv mit Herzen und Blumen.«
Sukie stöhnte. Sie war so müde, dass sie nicht sicher war, ob sie mit Acrylnägeln und Mini-Abziehbildchen und Kleber und Knipser und Feilen zurechtkäme – ganz zu schweigen von Chelseas unstillbarem, nicht enden wollendem Geplapper -, ohne dabei nicht wiedergutzumachenden Schaden anzurichten. Da es jedoch grundsätzlich zwecklos war, sich mit Jennifer auf Diskussionen einzulassen, suchte sie mit einem weiteren Gähnen das notwendige Zubehör zusammen und
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