Sommernachtszauber
ihre Dummheit zu entschuldigen. »Okay – ich muss jetzt los, sonst komme ich zu spät. Wir sprechen später noch mal darüber, Marvin. Wie wär’s, wenn du inzwischen das Geschirr abwäschst? Ich weiß noch nicht, wann ich wiederkomme … Bis dann.«
Ihre ruhige, gelassene Zuversicht hielt während der ganzen Fahrt nach Winterbrook an. Das konnte ja wohl nur von Sukies Essenzen kommen. Wie auch immer – Joss war sehr zufrieden mit sich. Und was Valerie erst zu alldem sagen würde, wenn sie sich wieder vor Coddles trafen? Das taten sie jetzt zweimal die Woche. Sie konnte es kaum erwarten, das alles Val zu erzählen.
Joss parkte bei der Getreidebörse und wandte rasch den Blick von der blutrünstigen Plakatwerbung für irgendeinen Horrorfilm im neuen Cinerama ab. Dann holte sie tief Luft und machte sich auf zur High Street.
Die Sonne schien heiß, und der schwarze Blazer war vielleicht doch keine so gute Wahl gewesen, dachte sie, während sie sich den Weg durch die einkaufslustige Menschenmenge bahnte. Hoffentlich sah sie bei ihrer Ankunft nicht ganz zerzaust und verschwitzt aus.
Was hatte Mr Fabian gleich noch mal gesagt? Neben der Bank? Joss blieb vor der Bank stehen … gut, da der Oxfam -Laden wohl kaum gemeint sein konnte, war es wohl auf der anderen Seite: hinter einer fest verschlossenen, reichlich ramponierten grünen Tür mit einer Reihe verblasster Namensschilder neben kleinen Klingelknöpfen.
Joss entzifferte die Namen – ach, da war er ja – Mr F. Fabian. Es stand noch irgendein Zusatz darunter, doch die Schrift war kaum lesbar. Noch einmal atmete sie tief ein, dann drückte sie auf die Klingel.
»Ja?«, krächzte ihr eine Stimme fröhlich ins Ohr.
Joss, die noch nie eine Gegensprechanlage benutzt hatte, zuckte zusammen, dann ging sie mit dem Mund ganz nah heran. »Mr Fabian? Hier ist Mrs Benson. Wir sind verabredet. Wegen meinem Artikel im Winterbrook Advertiser .«
»Guter Gott, Schätzchen!« Die Stimme mit dem Berkshire-Dialekt lachte. »Kein Grund, gleich so zu schreien. Ich bin doch nicht taub! Kommen Sie nur rauf!«
Mit einem Klick öffnete sich die grüne Tür, und Joss stieg vorsichtig eine schmuddelige Holztreppe hinauf, vorbei an verschlossenen Türen, hinter denen, den Namensschildern zufolge, Schuldeneintreiber, Privatdetektive, Personalvermittler und Finanzdienstleister logierten.
Mr Fabians Büro war ganz oben.
Leicht außer Atem klopfte Joss an eine ungewöhnlich gestrichene Tür in verblasstem Silber mit aufgeklebten goldenen Sternen und fragte sich, etwas verspätet, ob Mr Fabian womöglich im Sexgewerbe tätig war.
»Kommen Sie rein, Schätzchen!«, rief Mr Fabian. »Immer gerade durch! Der Empfang ist nicht besetzt!«
Noch immer leicht schwebend und eher neugierig als ängstlich zog Joss die silberne Tür hinter sich zu. Die Wände des kleinen, fensterlosen Empfangsbereichs waren über und über mit Showpostern und verblassten Fotos von Filmstars und Musikern aus vergangenen Zeiten bedeckt. Joss erkannte Marilyn Monroe, John Wayne, Humphrey Bogart, Elvis und Jimi Hendrix. »Immer geradeaus, Schätzchen!«, rief Mr Fabian durch einen Türbogen aus dem Nebenzimmer. »Hier geht’s nicht so förmlich zu!«
Höchst verwundert durchquerte Joss den winzigen, vollgestopften Empfangsbereich und betrat einen zweiten Büroraum, ähnlich dekoriert mit jahrzehntealten Werbeplakaten von Kinos, Kabaretts und Konzerthallen – da waren unter anderem die Rolling Stones, Cliff Richard und Bill Haley & his Comets zu sehen.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Schätzchen.« Mr Fabian erhob sich hinter einem völlig überladenen Schreibtisch, stieß dabei mehrere Papierstapel um und streckte ihr die Hand entgegen. »Freddo Fabian, Manager der Stars.«
Joss musste unwillkürlich lächeln und reichte ihre Hand einem gut gelaunten, im Stil der Sechziger gekleideten Mann mit künstlich gebräunter Lederhaut, langem, zurückgekämmtem, blond gefärbtem Haar und einem breiten, freundlichen Grinsen.
Marvin würde sagen, so einen wie Mr Fabian sollte man einsperren und dann den Schlüssel wegwerfen, das wusste sie genau.
»Setzen Sie sich, Schätzchen. Entschuldigen Sie die Unordnung. Papierkram war nie meine Stärke. Kann ich Ihnen irgendwas anbieten? Kaffee? Tee?«
Zu ihrer eigenen Überraschung hörte Joss sich seelenruhig antworten: »Kaffee wäre nett, vielen Dank.« Sie räumte einen Stapel Musikzeitschriften vom Stuhl vor dem Schreibtisch und setzte sich. »Ich hatte eigentlich
Weitere Kostenlose Bücher