Sommernachtszauber
zu benutzen! Du weißt, dass wir es uns nicht leisten können -«
Joss drehte die Wasserhähne weit auf, sodass Marvins Geldgejammer von rauschendem Getöse übertönt wurde.
War sie am Vortag schon nervös gewesen, als sie beim Winterbrook Advertiser Mr Brewster gegenübertrat, so war die Verabredung mit Mr Fabian an diesem Nachmittag ein solcher Schritt ins Ungewisse, dass ihr die Zähne klapperten.
Sie hüllte sich fester in ihren Bademantel und kramte in der Tasche nach den Fläschchen mit beruhigenden Essenzen. Die Dosierung konnte sie inzwischen schon wie ein Mantra im Schlaf aufsagen: vier Tropfen Jasmin, drei Tropfen Lavendel, einen Tropfen Weißdorn. Mit zitternden Fingern öffnete sie nun die Flaschen und träufelte mitzählend langsam die Düfte ins heiße Wasser.
Na bitte! Sie verschloss die Flakons und steckte sie wieder in die Tasche, dann legte sie den Bademantel ab und verwirbelte das Wasser mit der Hand.
»Herrlich …« Tief atmete sie den köstlichen, betörenden Duft ein, der mit dem Wasserdampf aufstieg. »Wunderbar … Ach, Sukie, du kluges Kind …«
»Jocelyn!« Wieder hämmerte Marvin an die Tür. »Komm da raus! Sofort!«
»Ich bin in der Badewanne«, flunkerte Joss fröhlich, plätscherte erneut mit dem Wasser und war außergewöhnlich gelassen. »Ich komme bald wieder raus. Zum Lunch habe ich uns Sandwichs gemacht – sie sind in der Küche. Lass mir eins übrig. Und jetzt geh bitte.«
Sie lächelte. Diese Art, sich durchzusetzen, schien ja neuerdings fast zur Gewohnheit zu werden. Warum in aller Welt hatte sie nicht schon vor Jahren damit angefangen? Natürlich war das nur eine rhetorische Frage – aber nun würde wohl doch einiges ein wenig anders werden. Seit ihrer ersten Massage in Pixies Laughter war sie kühner geworden und nicht mehr gar so eingeschüchtert. Bezüglich ihres Selbstwertgefühls hatte Sukie bereits Wunder gewirkt. Da brachte die Zukunft vielleicht noch manche Überraschungen – insbesondere nach diesem ermutigenden Aroma-Bad.
Joss erwartete durchaus keine wundersame Umkehr des Machtgefälles im Bungalow, aber wenn sie sich von Marvins Selbstmitleid noch weiter herunterziehen ließe, würde sie zu Grunde gehen. Noch verspürte sie einen gewissen Selbsterhaltungstrieb, und wenn Sukies Zauber wieder wirkte, entwickelte sie vielleicht sogar doch noch so etwas wie Durchsetzungsvermögen.
Joss wartete, bis sie Marvin durch die Küche wieder ins Wohnzimmer trotten hörte, stieg in die Badewanne und ließ sich genießerisch in das weiche, duftende Wasser gleiten. Was, hatte Sukie gesagt, solle sie tun? Ach ja – sich entspannen, die exotischen Dämpfe einatmen und sich vorstellen, wie sie dem unbekannten Mr Fabian voller Selbstvertrauen gegenübertrat. Na dann …
Sie lehnte den Kopf zurück, schloss die Augen und meinte im nächsten Moment schon zu schweben und davongetragen zu werden. Sie hatte ein Gefühl, als würde sie aus ihrem Körper heraustreten – wie bei einer Narkose -, und das war durchaus nicht unangenehm. Ganz im Gegenteil. Sie empfand sich als warm, schwerelos, sorgenfrei; und während die Düfte der Essenzen sie umhüllten und ihre Sinne betörten, glitt sie benommen in eine andere Welt …
Joss öffnete die Augen und blinzelte. War sie etwa eingeschlafen? Vermutlich … Für wie lange? Träumte sie denn noch? Nein – sie war eindeutig wach, aber …
Die Dampfschwaden wogten auf und ab, veränderten ihre Form wie Nebel an einem Sommermorgen und verhüllten die scharfen Kanten des nüchtern in Beige und Chrom gehaltenen Badezimmers mit duftendem, pastellfarbenem Dunst. Auch war die Badewanne keine Wanne mehr, sondern ein Teich, ein warmer, lieblich duftender, von Bäumen beschatteter Waldsee. Joss wandte verwundert den Kopf. Die zweckdienliche Dusche war zu einem glitzernd rieselnden und tänzelnden Wasserfall geworden, an den Wänden rankten leuchtend bunte Blumen empor und ließen regenbogenfarbene Blütenblätter ins Wasser tröpfeln.
Es war wie in einem dieser überschäumend fantasievollen Fernsehwerbespots für naturkosmetische Badezusätze – nur weitaus besser, denn das hier war echt .
Die vielen bunten Schmetterlinge in allen Farben blinkender Edelsteine, die rings um sie her an grünen Farnwedeln ein und aus flogen, wirkten auf Joss sehr lebendig, und sie wunderte sich, dass ihr das gar nicht merkwürdig vorkam. Sie fand es nicht im Mindesten beunruhigend, sondern einfach nur herrlich. Als sie den Kopf zurücklehnte, war sie
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