Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
dieselbe Person zu ihm sprechen, noch dazu mit der Stimme eines Mannes.
Die Gestalt enthüllte ihr Gesicht, und als Arrow ihr vertraute Züge darin erkannte, breitete sich ein lähmender Schrecken in ihr aus.
„Row?“, flüsterte sie ergriffen. Aber als sie ungläubig ihre Hand nach ihm ausstreckte, schlangen sich die Efeufesseln so eng um ihren Körper, dass sie kaum noch atmen konnte. Langsam verschwammen die deutlichen Umrisse der Elfen und als sie erwachte, fand sie sich genau dort wieder, wo sie vor gar nicht allzu langer Zeit die Geburt einer neuen Sonne miterlebt hatte.
„Nein!“, rief sie und schaute panisch um sich. „Bitte, ich muss wieder zurück. Die Elfen, die ich gerade gesehen habe ... Vielleicht haben sie meinen Bruder.“
„Sorge dich nicht um ihn“, entgegnete Isidor und trat in der gleichen, gläsernen Gestalt wie Whisper aus dem Nichts hervor. „Er ist in Sicherheit.“
„Woher weißt du das?“
Der Hirsch, dessen mächtiges Geweih wie Tausende von Sternen funkelte, ging nicht auf ihre Frage ein. Er musterte sie eine Weile, dann senkte er seinen Kopf und sagte: „Veränderungen sind geschehen. Es ist etwas eingetreten, auf das wir lange gewartet haben.“
Vollkommen unerwartet lösten sich die Efeufesseln von Arrows Körper und zerfielen anschließend zu glitzerndem Sternenstaub. Ungläubig schaute sie an sich hinab und musterte Isidor fragend.
„Du bist frei“, sagte er.
„Was?“, erwiderte sie überrascht.
„Dein Volk hat wahre Stärke, Loyalität und darüber hinaus den Willen bewiesen, deine Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ein neues Zeitalter ist angebrochen.“
„Aber ich bin doch gerade erst ...“
„Geh“, sagte er. „Kehre zurück und kämpfe mit ihnen Seite an Seite. Ihr seid jetzt bereit, ohne unsere Hilfe zu schaffen, was so lange schon hätte getan werden müssen.“
„Nein, bitte“, erwiderte sie flehend, als der Hirsch sich langsam vor ihren Augen auflöste. „Ich habe noch so viele Fragen. Wird für mich alles so wie vorher sein? Und was ist mit Whisper? Ohne ihn schaffe ich es nicht.“
„Nichts wird je wieder so sein, wie es einmal war“, vernahm sie seine Stimme wie ein leises Echo. „Das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Indem du dich uns als Pfand angeboten hast, bist du zur Halbgöttin geworden. Das ist etwas, das dir niemand nehmen kann. Und was den Wächter angeht, so sorge dich nicht. Jenen von uns, die sich dazu berufen fühlen, weiterhin an eurer Seite zu wandeln, ist es gewährt. Sie empfinden dieselbe starke Verbundenheit wie ihr. Und eines Tages, wenn ihr eure Welt verlasst und in eine andere übergeht, werden sie zu uns zurückkehren.“
Ein neues Zeitalter
Arrow erwachte in der Höhle, in der sie sich als Blaue Lady schlafen gelegt hatte. Auf ihrem Körper lag eine Decke. Keylam musste sie ihr übergelegt haben. Das tat er immer, wenn sie schlief. Er lag noch immer neben ihr und schien an einem weit entfernten Ort seine Träume schweifen zu lassen. Sein Schlaf war so fest, dass er gar nicht bemerkte, wie sie vorsichtig seinen Arm beiseiteschob und sich aufsetzte.
In dem schwachen Licht, das sie umgab, erspähte sie hinter Keylam zwei große, treue Augen, die sie vertraut anklimperten. Wie nicht anders zu erwarten, hatte ihr Mann sein Wort gehalten und Grint aus dem Schloss hierher geholt. Es war schön, ihn wiederzusehen und sein Lächeln verriet, das es ihm genauso ging.
Auf der anderen Seite lag Whisper. Er sah wieder wie der Rappe aus, der sie in den letzten Jahren sowohl in glücklichen als auch in dunklen Zeiten stets treu begleitet hatte. Seine gläserne Hülle war der ihr vertrauten gewichen. Mit ihren Fingern fuhr sie ihm durch die Mähne und als er seine Augen öffnete, gab sie ihm einen Kuss. Es hätte ihr das Herz gebrochen, wenn er sie verlassen hätte. Und obgleich sie dafür Verständnis gehabt hätte, war sie umso glücklicher, ihn weiterhin an ihrer Seite zu wissen. Schließlich war er ein Teil von ihr. Sie liebte es, ihre Gedanken, Gefühle und Empfindungen mit ihm zu teilen, wenngleich sie auch nur in den seltensten Fällen etwas davon zurück bekam.
Vor ihr schliefen Dewayne und Neve auf dem Boden, während Juna daneben saß und mit ihren Fingern etwas in den Sand malte. Arrow wickelte sich die Decke um ihren nackten Körper und setzte sich zu der kleinen Elfe. Sie beobachtete, wie Juna eine Sonne zeichnete, darunter befand sich ein Apfelbaum inmitten einer Blumenwiese. Die Kleine betrachtete ihr
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