Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
besiegelt.
Als ich meine Schwester fand, habe ich sie kaum wiedererkannt. Am ganzen Körper war sie blutverschmiert und hatte so tiefe Wunden, als hätte jemand versucht sie auszuweiden. Zudem war sie übersät mit Knochenbrüchen. Ihr Anblick hat mir mehr als nur einmal das Herz gebrochen, war sie zu dem Zeitpunkt doch noch ein halbes Kind.
Unter gewöhnlichen Umständen hätte sie nicht überlebt, doch mithilfe der Magie, die mir innewohnte, habe ich sie retten können. Jedoch in dem Moment, da sie wieder zu Bewusstsein kam, habe ich es bereut, sie nicht sterben gelassen zu haben. Die Erlebnisse der vergangenen Nacht spiegelten sich in ihren Augen wider. Alles Glück war aus ihren Augen verschwunden. Perchta war zu einer völlig anderen Person geworden, und ich wusste sofort, dass ich meine Schwester, wie ich sie kannte und liebte, für immer verloren hatte. Doch wie so oft spricht das Herz in einem solchen Fall leidenschaftlicher als der Verstand. Also zwang ich die Gewissheit in mir zur Ruhe und redete mir ein, es ungeschehen machen zu können. Ich hoffte, einen Weg zu finden, sie diese Nacht vergessen zu lassen, die Erinnerungen in ihr auszulöschen und anschließend die Schwester zurückzubekommen, die ich all die Jahre neben mir aufwachsen gesehen habe.
Aber leider war es zu dem Zeitpunkt längst zu spät. Noch bevor wir den Wald verlassen konnten, tauchte das Wesen, von dem der Reisende berichtet hatte, hinter den Bäumen auf. Es klärte mich darüber auf, dass Perchta den Wald nicht verlassen könne, da in ihrem Körper bereits der Nachkomme der schwarzen Kreatur, die als Dämmerdämon bezeichnet wird, heranwuchs. Solange sie dieses Baby in sich trug, war sie an den Wald gebunden.
Ich fragte das Wesen nach einer Möglichkeit die Brut entfernen zu lassen, doch es sagte mir, dass eine Schwangerschaft aus der Verbindung mit einem Dämmerdämon anders wäre als andere Schwangerschaften, und deshalb beim Versuch einer vorzeitigen Entfernung auch die Mutter sterben würde. Ebenso konnte es nicht dafür garantieren, dass Perchta die Niederkunft überlebte. In jenem Moment habe ich mich so machtlos gefühlt wie nie zuvor in meinem Leben.
Schweren Herzens verharrten wir in dem Wald. Während der gesamten Zeit hatte meine Schwester noch kein einziges Wort gesprochen und selbst ihre Bewegungen muteten wie die einer willenlosen Puppe an.
Die Schwangerschaft schritt schnell voran und bereits am gleichen Abend kam es zur Niederkunft, die wider Erwarten überraschend schnell vonstatten ging, wenngleich sie auch nicht einfach war. Während die Wehen einsetzten und das Kind schließlich geboren wurde, hatte ich alle Hände voll damit zu tun, Perchta am Leben zu erhalten. Wäre ich auch nur einen Augenblick lang unaufmerksam gewesen oder hätte das Falsche getan, hätte ich sie verloren.
Als ich das Kind dann schließlich in den Armen hielt, war ich sprachlos, denn es war nicht, was ich erwartet hatte. Nichts daran erinnerte an einen Dämmerdämon. Es hatte wunderschöne weiße Haut, den Kopf mit dunklem Haar bedeckt und die gleichen strahlend grünen Smaragdaugen wie meine Schwester.
Das herrschende Wesen des Waldes war nicht weniger verblüfft, als es in den Tiefen der Kindsseele nach den Eigenschaften seines Erzeugers suchte. Doch was es fand, war lediglich ein Echo davon – schwach genug, um es kontrollieren zu können, aber dennoch der Keim, um eine Persönlichkeit zu erschaffen, wie sie grauenvoller nicht sein könnte.
Das Wesen rang mit sich, war es zuvor noch der Ansicht gewesen, das Kind umgehend nach seiner Geburt töten zu müssen, so konnte es sein Vorhaben bei dessen Anblick schließlich nicht übers Herz bringen und entschied, es bei sich im Wald unter seiner Aufsicht aufwachsen zu lassen. Es erlaubte mir jedoch, das Kind meiner Schwester zu zeigen, bevor wir uns auf dem Heimweg machten. Also legte ich es ihr auf die Brust, und in dem Moment, da Perchta zum ersten Mal den Herzschlag ihrer Tochter verspürte, der so vollkommen im Einklang mit dem ihren war, erwachte sie aus ihrem dunklen Albtraum und kehrte zurück zu den Lebenden. Als sie dem Mädchen in die Augen sah und es sie so strahlend und liebevoll anlächelte als fielen tausend Sterne vom Himmel, leuchteten ihre Augen plötzlich wie früher.
Verzückt von dem Zauber des Augenblicks, wie ihn nur eine Mutter erleben kann, die ihr Kind zum allerersten Mal in den Armen hält, flehte Perchta das herrschende Wesen des Waldes an, ihr Kind mit sich
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