Sommersonnenwende (Winterwelt Trilogie) (German Edition)
nehmen zu dürfen. Unter keinen Umständen wollte sie es an jenem dunklen und furchteinflößenden Ort aufwachsen lassen, an dem ihr selbst so viel Leid widerfahren war. Sie fürchtete den Moment, in dem die dunkle Kreatur erneut aus der Dämmerung geboren wurde, um Jagd auf ihre Tochter zu machen.
Das Wesen verstand diese Bedenken, warf jedoch ein, dass es in ihrem Reich gewisse Gesetze gäbe, denen jeder, der es betrat, unumstößlich unterworfen war. Von dem Kind ging, wenngleich sie auch nur gering war, eine Gefahr aus, und es gehörte zur Aufgabe des herrschenden Wesens, die Welt, die hinter den Grenzen ihres Waldes lag, davor zu schützen.
Perchta wollte von alledem nichts wissen. Sie war überzeugt, dass ihre Tochter, so sie liebevoll und an einem besseren Ort aufwüchse, das Böse in sich kontrollieren und die Welt zum Guten verändern würde. Schließlich trügen alle Wesen an jedem Ort und zu jeder Zeit stets beide Seiten in ihrem Herzen und nicht jedes entschied sich für die Dunkelheit. Doch das Wesen ließ sich nicht erweichen, woraufhin sich meine Schwester für das Kind verbürgte und sich selbst im Tausch anbot.
Das Wesen zögerte und bevor es eine Entscheidung traf, warf es einen Blick in Perchtas Seele, wo es erkannte, dass Mutter und Tochter eine einzigartige Verbindung zueinander hatten. Einer vermochte die Gedanken des anderen zu hören und selbst Gefühle blieben nicht voreinander verborgen. Als das Wesen in diesem Zusammenhang erkannte, dass es noch immer die Kontrolle über das Kind behalten würde, wenn es an seiner Stelle die Mutter an den Wald bände, willigte es ein.
In dem Moment, als Perchta ihre Tochter in meine Arme übergab und mich beschwor, gut auf sie zu achten, verschwand der gerade erst wiedergewonnene Glanz erneut aus ihren Augen und kehrte nie wieder zurück. Innerhalb kürzester Zeit hatte sie das größte Glück und das schlimmste Leid ihres Lebens erfahren. Seither ist sie, soviel Macht sie auch besitzen mag, eine Dienerin im Wald der Merga und denkt ununterbrochen schmerzerfüllt an jenen Tag zurück, der ihr das Schönste im Leben genommen hat.“
Mit Tränen in den Augen schaute Anne zu Arrow, die erst jetzt bemerkte, dass sie sich, erschüttert über diese traurige Geschichte, am ganzen Körper versteift hatte. Zwar hatte sie nicht einmal im Ansatz geahnt, worauf Annes Erzählung hinauslaufen würde, doch sie war sicher, dass es niemals derart grausam gewesen wäre.
„Was ist aus dem Mädchen geworden?“, fragte sie mit zitternder Stimme.
„Nun, es hatte eine schöne Kindheit und genau wie meine Schwester es vorausgesagt hat, ist nie etwas von der Bosheit ihres Erzeugers an die Oberfläche gedrungen. Bedauerlicherweise sind Mutter und Tochter jedoch nicht nur über Gedanken und Gefühle miteinander verbunden, sondern teilen offenbar auch noch das gleiche Schicksal. Ebenso wie Perchta ist auch das Mädchen schon lange nicht mehr Herrin über sich selbst und opfert sich für eine Sache auf, die ihr mehr bedeutet, als das eigene Leben.“
„Klingt, als wäre sie eine sehr außergewöhnliche und bedeutende Persönlichkeit.“
Anne nickte. „Das ist sie. Und du kennst sie auch. Meine Schwester hat ihr einst den Namen Elaine gegeben.“
Arrow konnte lange nicht einschlafen. Immer und immer wieder ging ihr Perchtas Geschichte durch den Kopf. Ob wohl daher die vielen Narben in ihrem Gesicht stammten? Gleichzeitig dachte sie auch an Elaine. Schon bei ihrer ersten Begegnung mit Frau Perchta waren ihr die ungewöhnlichen Smaragdaugen aufgefallen, und nun fragte sie sich die ganze Zeit, wie sie die Verbindung zur Grünen Lady übersehen konnte. Jetzt ergab es auch einen Sinn, dass Elaine ihr im vergangenen Jahr Perchtas Nachricht überbracht hatte.
Lange überlegte sie, welches der Schicksale beider Frauen wohl das Schlimmere wäre. Als sie endlich zu dem Schluss gelangte, dass jedes auf seine eigene Weise grausam sein musste, schlief sie endlich ein. Und zurück blieb nur die Frage, wie viel Leid jemand aus Liebe zu einem anderen zu ertragen vermochte.
Als Arrow in den frühen Morgenstunden in das Bett ihres Sohnes blickte, erwartete er sie bereits mit einem strahlenden Lächeln. Noch bevor sie ihn in ihre Arme nahm, erklang das Lachen, von dem Anne gesprochen hatte.
Arrow hielt ihm das Amulett vor seinen Mund und das vorher schwarze Metall verwandelte sich in strahlendes Gold. Ebenso begann der klare Stein in der Mitte in feurigen Rottönen zu
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