Sommerstueck
Küche traten, eine Freude, die sie nicht einlösen würden, denn waren sie etwa die herbeigesehnten Käufer? Seid stille! Antonis hatte immer Adressen an der Hand. Sie sind nicht von hier, fragte Jan die Frau. Nein, sagte sie, aus Westpreußen. Man hört es noch, ja? Sie band die schmuddlige Schürzeab, das knallgrüne Kopftuch behielt sie um. Welcher Art Frauen sollten diese Kopftücher stehen, die in den Dörfern sehr verbreitet waren. Alle Türen stieß Frau Weiß vor ihnen auf, wie kamen sie dazu, durch ihre Stuben zu laufen, alle unwirtlich und vernachlässigt, wie lange nicht bewohnt. Ellen wechselte mit Jan einen Blick: Wie die Leute leben! – Früher, sagte die Frau, hat es hier anders ausgesehen. Mit vier Kindern seien sie in den fünfziger Jahren auf den Hof gezogen, da waren die ehemaligen Besitzer in den Westen abgerückt. Wer aber sollte nun ihnen nachrücken? Uns beiden Alten wird es zuviel, sagte die Frau. Das große Haus. Scheune. Stallungen. Und den Riesengarten dazu. Den haben Sie noch nicht mal gesehen. Denken Sie nicht, hier hat es immer so ausgesehen. Bewahre. Als ich noch kein Rheuma hatte. Als die jüngere Tochter noch hier war. Da hätten Sie kommen sollen.
Bloß, daß wir da, dachte Ellen, keinen Grund gehabt hätten zu kommen. Jetzt waren die Krebse gegessen, auf vier kleinen Schalen lagen ihre leeren, merkwürdig verrenkten Panzer an den vier Ecken des Tisches aufgehäuft, die Kerzen brannten klar und stetig, dann flackerten sie auf. Littelmary stand im Nachthemd in der Tür. Bleibt ihr alle hier? Geht ihr auch wirklich nicht weg? Sagt ihr es mir, wenn ihr weggeht? Laßt ihr bei mir die kleine Lampe brennen, wirklich?
Was ist, Littelmary. Ja, wir sind hier. Wie immer. Niemand geht weg. Du bist nicht allein. Die Lampe brennt. Ja, du kannst noch trinken.
Also ihr seid die ganze Zeit hier?
Geh schlafen, Littelmary.
Sie ging, widerstrebend. Mit einer anderen Art vonWiderstreben als andere Kinder, die einfach noch keine Lust haben, schlafen zu gehen. Littelmary hatte Angst, allein zu bleiben. Ellen ging ihr nach. Erzähl mir noch was. Ellen erzählte ihr von dem alten Mann, den sie durchs Küchenfenster hatten heranhumpeln sehen, von den Ställen her. Was ein Kriegsinvalide ist? Daß der alte Weiß im Krieg ein Bein verloren hatte, sagte sie Littelmary nicht. Verwundet, weißt du. Wie er ihnen vorführte, daß er trotz seiner Behinderung auf das Scheunendach klettern konnte, ein hochgiebliges Rohrdach. Wie er sich dort festzurrte und die schadhaften Stellen ausflickte. Das Grundstück war besser in Schuß als das Haus. All die schweren Stalltüren wurden vor ihnen aufgemacht, in einer der Buchten stand eine herrschaftliche Kutsche, auch beinahe noch intakt, rief Herr Weiß, wenn man ein Pferd hätte, ich tät es anspannen und damit losfahren. Dann mußten sie hinter die Hecke treten, in den Apfelgarten, der allerdings ein unübertrefflicher Ort zum Arbeiten sein mußte – die Hecke hielte jeden Wind ab, zuverlässig!, wurde ihnen versichert –, auch ein Ort, um auf dem Rasen zwischen den Bäumen zu liegen und in den Himmel zu blicken, sogar im Adamskostüm, wenn Sie wollen, durch diese Hecke kann keiner durchblicken, da können Sie sich überzeugen. Sie überzeugten sich. Schon wieder wurde ihnen ein anderes Leben angemessen. Wozu waren sie hier? Antonis verhandelte, als wolle er wirklich das Grundstück kaufen. Anders geht das nicht, hatte er ihnen erklärt. Du mußt selbst dran glauben, sonst zeigt dir keiner auch nur einen Stall von weitem. Sein Gehirn verglich selbsttätig die laufenden Angebote mit den Wünschen seiner Freunde, die da gespeichert waren.
War es den anderen auch so gegangen? Hatten auch sie gedacht, an diesen beiden alten Leuten prallt aber nun wirklich alles, was wir Literatur nennen, das geschriebene Wort, ein Leben lang ab. Waren sie ebenso erstaunt, fast bestürzt gewesen, als der alte Weiß sie in die wüste Wohnstube zurückgeführt hatte, vor das einzige blanke, gepflegte Möbelstück, den Bücherschrank? Wie er ihre leicht übertriebene Bewunderung für seinen Inhalt genoß. Ja, die Geschichte. Die habe ihn schon immer interessiert. Das findet man hier oft, sagte Luisa, unglaubliche Leute. Sie erinnerten sich, wie Herr Weiß ein kürzlich erschienenes Buch aus dem Fach gezogen hatte, über die Weimarer Republik, wie er es in der Hand gewogen und dazu gesagt hatte: Die Hälfte der Seiten raus, dann wär nur noch die Hälfte gelogen. Er war ein Verehrer
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