Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
Vom Netzwerk:
Gier ist es, die dich ankettet.
    Moment mal, sagte Clemens. Falls jetzt in der Handlung des ersten Aktes, die er sowieso nicht durchschaue – er habe sich ehrlich an seine Rolle gehalten und Luisa umworben, was die bezeugen könne –, falls also jetzt das retardierende Moment in Form eines philosophischen Disputs über den Sinn des Lebens an der Reihe sei, so möchte er daran beteiligt sein.
    Aber bitte, sagte Jenny. Da sich leider kein Autor für dieses Stück dingfest machen lasse, sei alles erlaubt. Sie wolle nur noch anmerken dürfen, daß Antons Maxime ihr damals unglaublich eingeleuchtet habe. Sie erinnerte sich, worüber sie nicht sprechen würde: daß er ihr auch noch beibrachte, man ist nicht frei, wenn man anderen beweisen muß, daß man frei ist. Daß es genügen mochte, einmal in der Woche die Schule zu schwänzen. Daß es kein Zeichen für Freiheit war, wenn sie sich weigerte, zu Hause anzurufen, wenn sie über Nacht bei ihm blieb, in seiner Rumpelbude, die er nicht vernachlässigte, weil er frei, sondern weil er faul war.
    Hat einer an jenem Nachmittag zufällig mal nach dem Himmel gesehen? Tiefblau wie geschmolzenes Blei. Wolkenlos. Jenny hat ihn wahrgenommen, während sie durch das Küchenfenster dem Gespräch zwischen Clemens und Anton zuhörte, Anton, der übrigens begonnen hatte, für David an einem Stuhl zu zimmern. Clemens fing an, ihm dabei zu helfen. Du kannst ja tischlern! sagte Anton. Habe er mal ein bißchen gekonnt, sagte Clemens. Zu Holz habe er immer eine Beziehung gehabt. Anton fand, wer tischlern könne, habe es doch nicht nötig, Universitätsprofessor zu werden.Das sagte der nun wieder so hin, Anton. Aber, soviel sei wahr, zu Holz habe er sich schon früh hingezogen gefühlt, ganz eigenartig. Josef, der bei ihnen stand und zusah, wie sein Sohn David sich von Anton die Handgriffe abguckte, sagte: Du wirst lachen, ich auch. Einmal ists mir im KZ gelungen, in die Schreinerei zu kommen, irgendwer muß mich protegiert haben, ich weiß bis heute nicht, wer und warum. Nun hab ich ja immer zwei linke Hände gehabt, aber ich muß mich doch so angestellt haben, daß sie mich nicht gleich wieder rausgeschmissen haben. Der Geruch von diesem Holz hat mich ganz meschugge gemacht.
    Wenn du erst mal fünfzig bist, sagte Clemens zu Anton, dann kannst du nicht einfach am Kindertag zu deinem Institutsleiter gehen und sagen: So, mein Lieber. Ab heute darfst du mit meiner Wenigkeit nicht mehr rechnen. Ich schmeiß die Brocken hin.
    Am Kindertag vielleicht nicht, sagte Anton. Ich würde denken: am Vatertag. Sonst sah er keinen Unterschied, ob einer fünfundzwanzig oder fünfzig sei. Höchstens daß die Dringlichkeit zunehme, je älter man werde.
    Der redete. Daß Josef ihm beipflichten würde, war vorauszusehen. Er sei ja immer eine Art Vagabund gewesen, sagte er, aber nach der KZ -Zeit habe er sich überhaupt nicht mehr anbinden lassen können. Wenn er irgendwo ein paar Wochen festsitze, werde er kreuzunglücklich, könne nichts mehr machen, schmore im eigenen Saft. Kriege es mit der Angst zu tun. Aber sowie er sich dann ins Auto setze, losfahre, egal wohin, gehe es ihm gut. Normal sei das wohl nicht, aber was solle man machen.
    Clemens dachte: Mein Problem ist das nicht. An einem Fleck bleiben – das kann ich mir vorstellen. Seinen Trieb zu reisen hatte er mit anderen Trieben unterdrückt. Zu oft hatte sein Chef ihm eine Einladung aus dem Ausland mit einem falschen bedauernden Lächeln zurückgegeben: Kein Reisekader. Leider immer noch nicht. Nun will ich nicht mehr, dachte Clemens, ohne dieser Behauptung bis auf den Grund zu gehen. Sie sollte stimmen. Er wollte seinen Anspruch verteidigen, die Privilegierten, die inmitten eines harmlosen Gesprächs anfangen konnten, vom Klima Roms oder von den Verkehrsproblemen in Paris zu reden, unverblümt zu beneiden und zu verachten. Das sollte dem Charakter schaden? Mochte es. Sein Charakter war seine Sorge nicht mehr; falls die Mißgunst in ihm überhandnahm, sollten das die verantworten, die Privilegierte und Benachteiligte schufen. Wenn Neugierde, Interesse und Begehren eine Strömung waren, so hatte er, halb unbewußt, diese früher starke Strömung in sich im Laufe der Jahre immer mehr zurückgedreht, hatte sich auf Sparflamme gesetzt. Es war ein Experiment, nicht risikolos. Als Mediziner konnte er sich selbst kontrollieren. Eine geringfügige Steigerung des Blutdrucks, Schwankungen des Blutfettspiegels, Kopfschmerzen – alles so ziemlich innerhalb der

Weitere Kostenlose Bücher