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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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lagen die gefüllten Teigrollen nebeneinander in der tiefen Pfanne, wurden mit Öl übergossen und in den Ofen geschoben. Anton mußte derweil Jennys Nacken massieren, dann verlangte Jonas nach Futter für seinen Esel, der draußen angebunden stand. Littelmary durfte mitgehen, sie kam mit der Nachricht zurück, am linken Hinterfuß des Esels sei das Eisen locker. Er habe übrigens, sagte Jonas, schon den ganzen Weg über gelahmt. Ob vielleicht die Waffen zu schwer sind für das Tier? fragte Anton. Meinst du das? fragte Jonas. Aber er könne höchstens einen Schild weglassen. Allerhöchstens. Klaro, sagte Anton. Zwischen ihm und Jenny gingen wieder diese Blicke hin und her.

15.
    Obwohl die Zeit sehr langsam lief, war es inzwischen doch später Nachmittag geworden. Schwer zu sagen, wann die Vorstellung weiterging, ob sie überhaupt unterbrochen war, ob die Darsteller wirklich in ihre Rollen hineinschlüpften, ob sie sich nicht, im Gegenteil, ganz und gar in ihnen verloren. Littelmary zum Beispiel bestand darauf, mit Luisa allein das Stück »Kindergarten« aufzuführen. Dazu stellte sie alle Schuhe aus dem Flur in Reih und Glied vor dem Haus auf, um sie mit schriller Stimme zu kommandieren: Hände waschen! Na los! Wirds bald! Nicht drängeln, verdammt nochmal! Luisa aber mußte sich im Gras ausstrecken und auf Befehl schlafen. Als sie erklärte, das könne sie nicht, wurde ihr ein Tuch über die Augen gelegt, sie wurde angeschrien, daß sie die anderen nicht stören solle, und wenn sie sich mit ihrer kleinsten Stimme verteidigte, schrie Littelmary als Kindergärtnerin außer sich: Sei still, du!
    Alles zu spät, sagte Jenny, die, an Anton gelehnt, in der Haustür stand. Glaubst du nicht, daß da alles schon zu spät ist? Anton erwiderte einsilbig: Wer weiß. Wenig später erschienen die beiden als mexikanisches Brautpaar an Kücheneingang, um im Hotel ZUR MALVE Quartier zu suchen. Anton hatte sich Jennys mexikanischen Poncho umgehängt und sich die leichte kleine Truhe mit Ellens Pullovern auf die Schulter geladen. Jenny hatte sich ein Kissen unter ihr weites indisches Kleid gestopft. Jonas, der sich als Empfangschef ausgab, verweigerte ihnen den Zutritt. Leider könne er sie nicht einlassen, jeder Fremde könne ein Spion sein. Sie erwarteten sowieso noch einige Spione. Na also, sagte Jenny, dann seien sie hier ja genau richtig. Sie wolle hier gebären. Jonas fuhr hoch. Gebären? Aber hier könne nicht einfach jeder kommen und gebären wollen! Während Littelmary heftig an Jenny schob, um sie durch die Tür zu kriegen, und dabei aus Leibeskräften schrie: Aber gerade könne hier jeder gebären! Und besonders Jenny aus Mexiko.
    Später, bei der Auswertung, wurde diese Szene zum Höhepunkt des Stückes erklärt. Jan und Ellen in ihren Rollen als Hotelbesitzer mußten ihre ganze Autorität aufbieten, während die übrigen Gäste, die sich in einem Pulk zusammenrotteten, ihre gepfefferten Kommentaregaben und nach den verschiedenen Richtungen hin Partei ergriffen. Kurz und gut, die Mexikaner drangen ein, machten sich überall breit und benahmen sich so vulgär wie möglich, verlangten zu essen und zu trinken, ohne bezahlen zu wollen. Sie fraßen, anders konnte man es wirklich nicht nennen, die Reste von Irenes vorzüglichem Kirschkuchen, soffen Bier, Apfelsaft und sogar den scharfen mecklenburgischen Klaren in sich hinein, pöbelten die Leute an, hielten sich an keine Hausordnung, sondern durchstreiften die Räume und mokierten sich: über die schön geweißten Zimmer, die neuen Stücke der Einrichtung, sie polkten aus allen das Unvollkommene oder Peinliche heraus, sie konnten es sich leisten, nur weil sie Mexikaner waren. Wir anderen hatten alle Hände voll zu tun, sie zu bewirten, sie daran zu hindern, Kirschkerne an die Wände zu spucken, ihre wüstesten Schmähungen zurückzuweisen. Als die Mexikaner satt waren und auch noch Irenes Kirschkuchen heruntermachen wollten, standen wir gegen sie wie ein Mann und lieferten uns mit ihnen eine Schimpfkanonade, nur Littelmary blieb unverrückbar auf Jennys Seite und schimpfte mit überschnappender Stimme gegen uns andere, so unflätig sie konnte. Als sie endlich drittselbst unter üblen Verwünschungen abgezogen waren, die Mexikaner, stellte sich heraus, daß sie auch noch hundsgemeine Diebe waren. In der kleinen Truhe, die Anton auf seiner Schulter trug, schleppte er weg, was nicht niet- und nagelfest war, die Kaffeemühle ebenso wie Ellens Hausschuhe, eine Blumenvase, den

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