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Sommerstueck

Sommerstueck

Titel: Sommerstueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Wolf
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Wecker und, was das stärkste Stück war, sogar das Telefon.
    Einzelheiten, Einzelheiten. Aber wie anders als mitHilfe dieser Einzelheiten könnten wir bezeugen, daß, wonach wir uns sehnen, als Möglichkeit in uns angelegt ist. Als sehr flüchtige, vergängliche Möglichkeit, das soll wahr sein. Gerechtigkeit? Man solle Gerechtigkeit walten lassen? Ihr wißt, daß es nicht möglich ist. Es mag sein, daß einem jeden von uns Gerechtigkeit widerfahren würde, wenn ein jeder seinen Bericht über den Sommer abgäbe. Vielleicht wäre es doch möglich, sagte Ellen zu Luisa, über jeden nur Gutes zu schreiben. Luisa sagte, dazu müsse man über jeden nur Gutes denken. An jenem Nachmittag kam es uns allen nicht schwer vor.
    Luisa strich auf dem Grundstück umher, ging von Gruppe zu Gruppe auf der Suche nach Bella und Steffi. Sie sah sie auf der alten Kirchenbank am Rande der Wiese sitzen, dort, wo man den Blick auf einen Zipfel des Weihers hat. Ein surrealistisches Motiv. Luisa zog sich zurück. Da waren zwei, die gehen mußten. Sie hatten sich gleich gefunden. Luisa versuchte, ihre Mitfreude wachsen zu lassen, den Schmerz zurückzudrängen. Er würde noch, bald genug, über sie herfallen. Sie hatte Bella beobachtet. Sie hatte gesehen, wie die Abstand nahm, probeweise, glaubte sie selbst. Die anderen mit Blicken messen. Kam man ohne sie aus? Vermutlich. – Luisa, der es das Herz zerriß, mußte Bella recht geben. Daß es sie zu Steffi zog!
    Steffi hoffte, Bella wäre vielleicht die einzige, die so mit sich beschäftigt war, daß sie nicht an ihre Krankheit dachte. Die von dieser Krankheit vielleicht nichts wußte. Konnte es jemanden auf der Welt geben, der nicht wußte, daß sie, Steffi, Krebs hatte?
    Bella schien unbefangen. Da entfaltete sich in Steffi,während sie mit Bella zu der Bank am Rand der Wiese ging, wo sie allein sein könnten, ganz leicht und selbstverständlich jenes Gefühl, das sie in den Monaten seit der Operation so oft hatte herbeizwingen wollen: Lebensfreude ohne Angst.
    Bella sagte, sie sei schön. Steffi glaubte ihr. Die würde nie etwas sagen, um jemanden zu schonen oder, noch schlimmer, zu erziehen. Daß Bella direkt, unhöflich und sogar ungerecht sein konnte, war Steffi lieb. Sie erinnerte sich, als sie vor ein paar Jahren zum ersten und einzigen Mal das Lager Buchenwald gesehen hatte – ohne Josef; Josef ging nie mehr auf den Ettersberg –, da hatte sie mit einer Freundin lange stumm in Weimar im Park auf einer Bank gesessen. Dann war sie plötzlich aufgesprungen und auf ältere Leute zugegangen und hatte sie gefragt, ob sie hier gelebt hätten, als auf dem Ettersberg das Lager war. Was sie damals gefühlt hätten. – Die Blicke. Die Hilflosigkeit. Die Empörung.
    Sie hatte genug, übergenug von all der Schonung und Rücksicht und den falschen Zurichtungen, in die man sie eingewickelt hatte. Der eigene Mann. Die besten Freunde. Sie denken, man merkt es nicht. Bella lachte böse. Denken die immer. Bei sich empfand sie immer deutlicher, angstvoll: Da muß ich mich rausziehen. Diese ganzen Stricke durchschneiden. Wie sagt man bei der Schiffahrt? Die Taue kappen. Noch einmal auf große Fahrt gehen. Ein starker, unausweichlicher Zug in ihr. Würde es schmerzen? Sicher. Doch nie mehr so stark wie in dieser Sekunde. Sie würde sich wappnen. Sich unempfindlicher machen. Und alles, was geschah – es geschah ja immer irgendwas! –, unbewußt daraufhinbetrachten, ob es den geeigneten Grund abgeben konnte, zu gehen. Sie würde vergessen, daß sie danach suchte, aber früher oder später würde der geeignete Grund sich finden. Sie hatte mit Steffi sowenig Mitleid wie mit sich selbst. Sie konnte sachlich mit ihr über ihre Aussichten reden. Daß man bei dieser Krankheit zuerst zwei, dann fünf Jahre hinter sich bringen müsse. Dann habe man es geschafft.
    Steffi sagte, am schwersten sei es, an David zu denken – im Falle, sie stürbe wirklich bald. Bella sagte nicht: Aber du stirbst nicht!, wie jeder andere es getan hätte. Sie sagte, im Falle einer schweren Krankheit habe jeder Mensch, auch eine Mutter, das Recht, an sich zu denken und die anderen, sogar die eigenen Kinder, sich selbst zu überlassen. Aber David, sagte Steffi, sei in der Schule so extrem schwach. Jetzt noch schreibe er kein einziges Wort ohne Fehler und könne keinen Satz fließend lesen. Sie aber habe eben zugesehen, wie er es blitzschnell lerne, sich einen Stuhl zu bauen, sagte Bella. Soll er Tischler werden. Da braucht er nicht zu

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