Sommerstueck
schreiben und zu lesen. – Aber geh, sagte Steffi. Das glaubst du doch selber nicht. Aber der Widerstand in ihr schmolz, die Angst schmolz. Sie hülfe David nicht durch ihre Angst, konnte sie sich sagen. So wenig verläßlich Josef als Vater war – wenn sie eines Tages nicht mehr da wäre, mußten die beiden sehen, wie sie miteinander zurechtkamen.
Steffi verhalf Bella dazu, mit einem kurzen scharfen Ruck ihren Geliebten aufzugeben. Soll er, konnte sie denken. Soll er doch. Ich mache meins.
Ellen saß eine Weile allein vorm Haus. Die Sonne stand tiefer, die Hitze begann nachzulassen. Sie hatteJenny mit Anton in Richtung Weiher gehen sehn. Sie hörte die Stimmen der Kinder. Wer hat Angst vorm schwarzen Mann? schrie Littelmary, und Jonas und David brüllten aus Leibeskräften von jenseits der Straße: Niemand!, und Ellen fühlte, wie sie in eine andere Zeit glitt, an einen anderen Ort, wo ein anderes Kind rief: Wenn er kommt, dann ist er da!, und sie fühlte das innere Zittern dieses Kindes, so wie auch Littelmary innerlich zitterte, wie David und Jonas ihr Bangesein überschreien mußten: Fahrn wir nach Amerika!, und wie dann jenes frühere Kind, einsam, wie nur Kinder es sein können, verzweifelt gerufen hatte: Amerika ist abgebrannt! und wie ihm genauso geantwortet worden war, wie sie jetzt Littelmary antworteten, wilden Triumph in der Stimme: Rüber komm’ wir doch! Und mochten die Gestalten und die Gesichter des schwarzen Mannes auch wechseln, dachte Ellen, auf einmal sehr schläfrig und abwesend, die Kinderangst vor ihm blieb die gleiche, weggedrückt, aber abrufbar bis ins Alter hinein; und konnte es nicht sein, dachte es in Ellen, die nicht ganz bei sich war, doch aufmerksam, daß diese verzweifelten Anstrengungen der späteren Jahre im Grunde dem einen Ziel galten, die Angst vor den schwarzen Männern loszuwerden, und daß die Freude, die sie manchmal grundlos überfiel, aus der Gewißheit erwuchs, daß sie auf beinahe unbewußten Wegen diesem Ziel näher kam. Ellen hielt still und sah alles weiter mit an. Littelmary jetzt, von oben bis unten bedreckt, wie Jan sie unter gutem Zureden ins Haus führte. Die ersten Unkenrufe. Irene an der Gartenpforte. Luisa, Bella und Steffi in vertraulichem, flüsterndem Gespräch von der Wiese her. Und dann, auf der Dorfstraße, Jenny und Anton,eng umschlungen, zwischen denen, auch das spürte Ellen, etwas Entscheidendes geschehen war. Alles sehen, von außen, körperlich, und zugleich von seiner Bedeutung angerührt sein. Ellen mußte sich ganz ruhig halten. Also kam doch wieder einmal alles zusammen. Ein Gebilde gab seinen Umriß zu erkennen, Gestalten bewegten sich schon. Vor allem war da wieder dieser unverwandt auf sie gerichtete Blick. Wabern und Wogen, dachte sie ironisch, das übliche Urchaos. Ein Lachen stieß sie. Wollten die sie schrecken? Abhalten? »Die«, das waren die Schöpfungsmächte. Die sollten nur machen. Gestalten vorführen und sie wieder zerstören. Herrgottnochmal. Jedesmal wieder die Entstehung der Welt. Darunter machen die es nicht. Zu früh durfte sie in diesen Vorgang nicht eingreifen, aber eine Ahnung stieg auf, wo das hin wollte. Wieder einmal zwei Kilo Papier umsonst beschrieben, warf sie denen vor, in unbegreiflicher Heiterkeit. Daß sie so blind hatte sein können. Derart stumpf. Vernagelt. Fühllos. Jetzt – ja! Jetzt weitete sich alles, Zusammenhänge traten hervor. Natürlich. So war es. Schrecklich, wenn es denn wahr sein sollte. Entsetzlich, das auszudrücken. Zitternd würde sie es tun müssen, das alte Angstzittern würde eine Stärke annehmen, die sie heute nur ahnen konnte. Und wie die Stimme in ihr, die dennoch rief: Rüber komm’ wir doch! ganz leise, wie oft sie verstummen würde. Diese Schwärze dann. Diese Stille. Und wie die Frage hervortreten würde, woher diese Angst kam, und was wir unser Leben lang tun, sie einzusperren. Sie zu verbergen. Ihr zu entrinnen. Sie loszuwerden. Sie zu vergessen. Abzutöten. Ach, wir halben Leichen.
Diesmal mußte es möglich sein. Entwürfe machen,das schönste. Morgen würde sie damit beginnen. Ein durchdringendes Gefühl von Dankbarkeit, gegen alle, die um sie waren. Gegen jeden, der sich ihr gezeigt hatte. Wie konnte sie es ihnen nur vergelten.
Jan schleppte mit Anton zusammen den riesigen Topf mit der Fischsuppe heraus. Reicht es denn für alle, fragte Ellen mit vor Glück beinahe überschnappender Stimme. Jan warf ihr seinen erkennenden Blick zu. Genug und satt, sagte er. Luisa
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