Sommersturm (German Edition)
nicht
dieselbe ... Wellenlänge. Wir lebten in verschiedenen Welten, sogar wenn wir am
selben Tisch saßen, verstehst du?“
„Ja“,
gab Betty zurück. „Ich verstehe.“ Sie vergaß ihre nicht vorhandenen Speckrollen
und setzte sich zu mir an den Tisch. Sie nahm einen tiefen Zug von ihrer
Zigarette, die sie sich noch vor dem Spiegel angezündet hatte. Ihr halbes Leben
lang war sie damit beschäftigt, sich das Rauchen abzugewöhnen. Zurzeit
hörte sie mal wieder mit dem Aufhören auf, was die andere Hälfte ihres Lebens
beanspruchte. „Wir hatten auch nicht dieselbe Wellenlänge, dein Vater und ich , haben wir nie gehabt. Deine Mutter und ich übrigens
auch nicht.“
Ich
dachte kurz nach .„ Heißt das dann“, sagte ich, „ ...
ich meine, müssen wir daraus etwa schließen, dass wir beide dieselbe
Wellenlänge haben?“
Ich
nahm ihr die Zigarette aus der Hand und zog daran, obwohl ich eigentlich gar
nicht rauchte. Betty klopfte mir im Spaß auf die Finger, sagte aber ernst: „Du
sollst nicht rauchen. Fang gar nicht erst an damit.“
Ich
wusste nicht warum, aber ich mochte es, dass sie so was zu mir sagte.
Vielleicht weil es fürsorglich klang. Meine Mutter hätte das wahrscheinlich
auch gesagt.
„Und
die Wellenlänge?“ hakte ich nach. „Was ist
damit?“
„Tja“,
sagte sie unkonzentriert, „die Wellenlänge ...“
Sie
hatte den Faden verloren und es machte keinen Sinn, noch mal nachzufragen. Sie
war nicht mehr richtig bei der Sache. Aber solche Stimmungsschwankungen war ich
von Betty längst gewöhnt, sie gehörten zu ihr wie ihr Aussehen. Also zerbrach
ich mir nicht groß den Kopf. Außerdem war ich jetzt schon klitschnass
geschwitzt, es war wahnsinnig heiß. Der erste wirkliche Sommertag in diesem
Jahr. Ich wollte nur noch an den Strand und ins Wasser.
Wir
saßen eingeklemmt hinter der Windschutzscheibe ihres alten, kleinen Renaults.
Die Seitenfenster waren bis zum Anschlag runter gekurbelt und der Lärm des
Fahrtwindes zwang uns zu schreien. Trotz der geöffneten Fenster schwitzten wir,
es war wie im Backofen.
„Deine
Mutter war viel schöner als ich“, sagte Betty. Ich hatte keine Ahnung, wie sie
plötzlich auf dieses Thema kam. Vielleicht waren ihr wieder ihre Speckrollen
eingefallen oder sie hatte bei einem Blick in den Rückspiegel entdeckt, wie
abgrundtief häßlich sie war. Vielleicht wollte sie
auch nur von ihrer Schwester reden. Manchmal dachte ich, dass sie noch
immer um Rosa trauerte. Obwohl sie zuletzt nur noch wenig miteinander zu tun
gehabt hatten und der Tod meiner Mutter nun schon so lange zurücklag. Aber
genau wusste ich nie, was in Betty vorging.
Ich
fragte mich, ob sie Recht hatte, ob meine Mutter wirklich schöner gewesen war
als sie, konnte die Frage aber nicht beantworten. Für einen Vergleich waren die
beiden viel zu verschieden. Außerdem hatte ich mir noch nie die Frage gestellt,
ob meine Mutter schön gewesen war.
Als
könne sie Gedanken lesen, sagte Betty: „Man sah ihr die Verantwortung an, mit
der sie aufgewachsen war. Sie war zwar schön, aber auch immer ein bisschen...
steif. Sie ließ niemanden an sich ran.“
„Auch
dich nicht?“, fragte ich. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, ob sie mich jemals an sich herangelassen hatte.
„Als
Kind schon“, rief Betty, damit ich sie trotz des Lärms von draußen verstehen
konnte. „Aber je eigenständiger ich wurde, um so schwieriger wurde es mit uns
beiden. Sie musste alle Menschen bemuttern. Und da so was bei gleichwertigen
Menschen auf Dauer nicht funktioniert, ließ sie solche in ihrer Nähe nicht
zu.“
Für
ein paar Minuten versanken wir beide in unseren Gedanken. Gleichwertige
Menschen ließ sie nicht zu, stimmte das? Was war dann mit meinem Vater gewesen,
hatte er ihr nicht als gleichwertig gegolten?
„Die
Jungs haben sich nie an sie rangetraut “, sagte Betty
und lächelte. Da wir an einer Ampel standen, brauchte sie jetzt nicht zu
schreien. „Keiner hat es je gewagt, auch nur mit ihr zu flirten. Geschweige
denn, sie mal zum Tanzen einzuladen oder ins Kino. Obwohl sie besser aussah als
ich und acht Jahre älter war, hatte ich schnell mehr Jungs als sie.“
Das
glaub ich, wollte ich sagen, biss mir aber auf die Zunge.
Wir
waren am Strand angekommen und kletterten aus dem Auto. Die Fenster ließen
wir weit offen.
„Die
Kiste klaut eh keiner“, sagte Betty, womit sie wohl Recht hatte. Der Ausdruck Kiste war dabei noch geschmeichelt, Schrottkarre
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