Sommersturm (German Edition)
Konzentration. Die
hochhackigen Schuhe ließen ihre Beine doppelt so lang erscheinen, das kurze
Sommerkleid schmiegte sich an ihren Körper. Lächelnd umarmte sie ihn.
Sein
glasiger Blick verriet, dass er schon jetzt nicht mehr ganz nüchtern war. Aber
man wurde ja nur einmal fünfzig. Bettys überschwänglicher Begrüßung begegnete
er trotzdem zurückhaltend, denn hinter seinem Rücken lag Martha wie eine dicke,
argwöhnische Raubkatze auf der Lauer.
Die
leise surrende Kamera im Anschlag, drängte ich mich an den beiden vorbei. Auch
als Martha mich begrüßte, nahm ich das Gerät nicht herunter. Keine Sekunde
hörte ich auf zu filmen. Marthas erstauntes, etwas rotfleckiges Gesicht in
Großaufnahme war eines der Glanzlichter meiner imponierenden
Videopremiere.
Kurt
und Martha hatten ihre Drohung wahr gemacht: Bis auf zwei Nachbarn war nur
Verwandtschaft erschienen. Ohne Kamera wäre ich wohl vor Langeweile
gestorben. Und obwohl selbst die banalsten Vorgänge durch den Sucher einer
Kamera noch eine gewisse Würze erhalten, war die Veranstaltung an Tristesse und
Stumpfsinn kaum zu überbieten. Jedenfalls bis zu einem bestimmten Punkt.
Trotz
ihrer anderslautenden Ankündigung hatte Betty bis dahin nur gelegentlich
an ihrem Sektglas genippt. Wir saßen alle an einer langen Tafel, die aus drei
zusammengeschobenen Tischen bestand. Das große Gähnen hatte bereits mehrmals
die Runde gemacht, als Betty letzte Vorbereitungen traf. Gerade hatte ich sie
in Großaufnahme im Visier und sah ihre Entschlossenheit, als sie ihr Glas
vollschenkte und es dann in einem einzigen Zug leerte.
„Martha!“,
rief sie danach quer über den Tisch, „was hattest du eigentlich neulich in der
Schule zu suchen?“ Ihre Stimme klang honigsüß, aber Marthas Gesicht verwandelte
sich schlagartig in eine Maske.
„Welche
Schule denn?“, fragte sie.
Betty
schwieg und sah ihr direkt in die Augen. Die Aufmerksamkeit aller richtete sich
auf die beiden.
„Ach“,
sagte Martha schließlich, „du meinst Julians Schule?“
Betty
nickte ausdrucksstark.
„Erraten!“,
sagte sie. „Du solltest dich für ein Fernsehquiz anmelden! Was wolltest du
dort?“ Ein bedrohlicher Unterton hatte sich bei ihr eingeschlichen. Während sie
auf eine Antwort wartete, füllte sie erneut ihr Glas. Ich wechselte mit der
Kamera mehrmals zwischen Betty und Martha.
„Was
soll ich dort schon gewollt haben?“, schoss Martha zurück. „Natürlich habe ich
mit Herrn Höfer gesprochen, Julians Klassenlehrer. Übrigens ein netter Mann.“
„Was wolltest du von ihm?“ Betty ließ nicht locker.
Alle
anderen Gespräche am Tisch waren inzwischen verstummt, es war sehr still. Ganz
kurz nahm ich Kurt ins Visier, unter seinem rechten Auge zuckte es nervös.
Martha hatte nun jede Spur Verlegenheit abgelegt.
„Ist
es etwa verboten“, sagte sie mit unterdrückter Wut, „dass ich mich für Julians
schulische Leistungen interessiere?“ Und nach einer kurzen Pause fügte sie
hinzu: „Schließlich war Rosa auch meine Schwester und es geht mich durchaus
etwas an ...“
„Das
sehr ich aber ganz anders“, fiel Betty ihr ins Wort. „Ich habe Julians
Erziehung übernommen, ganz allein. Sie ist kein Gemeinschaftsprojekt der
Hinterbliebenen. Und wenn ich deinen Rat brauche, lasse ich es dich wissen.“
Alle
sahen auf einmal betroffen aus, ich fing es ein. Ich ließ die Kamera über
die ratlosen Gesichter der Gäste schwenken, blieb dann wieder bei Betty hängen.
„Es
geht nicht um einen Rat“, gab Martha aus dem Off zurück. „Aber ich darf mich
doch wohl noch für meinen Neffen interessieren, oder?“
„Wenn
er dich interessiert“, sagte Betty, „frag ihn selbst, hier sitzt er.“ Sie
zeigte auf mich.
„Versteckt
hinter einer Kamera!“, zischte plötzlich Olga dazwischen. Ihre Stimme hatte die
Schärfe einer Rasierklinge, sie starrte in die Kamera. Was mich betraf, hatte
sie recht: Ich war gut versteckt.
„Falls
noch jemand beunruhigt ist“, sagte Betty in die Runde, „Julian gehört zu
den Besten in seiner Klasse.“
„Darum
geht es doch gar nicht!“, entfuhr es Martha.
Bettys
schlug blitzschnell zurück: „Sondern?“
Ich
bemerkte ein leises Zittern in ihrer Stimme. Martha war kurz sprachlos, dann
kam ihr wieder Olga zu Hilfe.
„Wahrscheinlich
ging es doch um sein Verhalten “, meinte sie mit ihrer weiterhin
schneidenden Stimme. „Und ich muss auch sagen, dass ich dieses höchst befremdlich
finde. Zum Beispiel habe ich heute
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