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Sommertochter

Sommertochter

Titel: Sommertochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Seydlitz Lisa Maria
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ihr
heraus, als sei sie froh, es endlich erzählen zu können.
    Ein kurzer Brief, wenige Zeilen, die sagten, dass Frank nicht in
Frankreich leben kann oder will. Julie sagt, dass er, meine Mutter und ich auf
dem Bild waren, dass wir auf einer Wiese lagen, dass ich ein blaues Kleid trug
und einen Pony, der mir bis fast in die Augen hing, dass meine Mutter ein
Medaillon auf der Brust trug, dass Frank mit Dreitagebart und Brille dasaß.
Dass wir nicht lachten, sagt Julie, dass wir still dasaßen in unserem Glück und
es nicht schätzten. Diese drei Menschen im Garten, dachte sie, die wissen
nicht, wie viel Glück sie haben, wie sehr sie beneidet werden. Julie stopfte
das Bild und den Brief in den Korb mit der dreckigen Wäsche. Am nächsten Tag
fand die Mutter beides. Und obwohl sie das Foto und den Brief nicht mehr sah,
schob sich das Bild immer wieder vor Julies Augen. Wenn ihre Mutter mit ihr
darüber sprechen und ihr erklären oder sagen wollte, was sie selbst darüber
dachte, hielt sich Julie demonstrativ die Ohren zu und begann zu singen.
    Â»Du wusstest es«, sage ich und suche in Julies Gesicht
nach einer Reaktion, aber ich finde nichts, ich suche nach den passenden
Worten, aber ich finde auch sie nicht, also sage ich, dass es mir leid tue.
Julie steht auf, klopft sich den Dreck von der Hose, rückt ihre Bluse zurecht
und nimmt die leeren Muschelschalen und Teller. »Und das alles, obwohl es mich
zuerst gab«, sagt sie.
    IM SCHULHOF GIBT ES ganz
hinten eine Ecke, noch hinter den Toiletten, in der sich die Feuerkäfer auf dem
Asphalt tummeln, Teufelskäfer nenne ich sie. Oft gehe ich in der Pause in diese
Ecke, vorbei an den Rauchern aus der Oberstufe, vorbei an den Fünftklässlern,
die Gummitwist spielen, vorbei an den Pärchen, die händchenhaltend hinter den
Fahrradständern stehen. Lena kommt mit. Ich trete mit den Füßen auf die
Feuerkäfer, die Körper sind sofort zerquetscht und nicht mehr als Käfer zu
erkennen. »Sie sind böse und gefährlich«, sage ich zu Lena, sie nickt und tritt
die Käfer zu Brei. Zu zweit hüpfen wir auf ihnen herum, immer gibt es einen,
der sich noch bewegt. Kurz bevor es zum Unterricht läutet, kommt eine Lehrerin
vorbei. »Was macht ihr da?«, fragt sie. »Haben euch die Tiere irgendetwas
getan? Hört auf damit.«
    Nach der Schule fahre ich mit dem Fahrrad aus der Stadt heraus
und lasse das Grau hinter mir, die dicht aneinanderstehenden Häuser, in denen
man alles hört. Ich fahre die breite Straße entlang, die ich früher immer
gefahren bin. Die Wolken folgen mir, sie breiten sich aus, nehmen den Himmel
ein. Ich biege in eine Straße ab und kann bereits die Umrisse unseres Hauses
sehen. Ich spüre die ersten Regentropfen im Nacken, ziehe die Kapuze auf und
fahre trotzdem weiter, plötzlich ein Donnern, ich zucke zusammen, trete
schneller in die Pedale, die Wolken am Himmel sind inzwischen schwarz.
    Es ist nicht mehr weit. Ich sehe den Kirschbaum, dessen Äste sich
nach oben hin öffnen, als wollen sie den Himmel empfangen. Auf dem Schotterweg
noch immer unser Kombi, die Stoßstange eingedellt. Ich werfe das Fahrrad ins
Gras, ziehe die Sweatjacke enger um den Körper und drücke das Tor zum Garten
auf. Ich gehe am Schuppen vorbei, der noch immer in der Ecke des Gartens steht,
ich sehe durch sein kleines Fenster, sehe die Gartengeräte, das Aquarium. Ich
setze mich auf die Terrasse. Neben mir prasselt das Wasser durch die Regenrinne,
ich habe die Arme um die Beine geschlungen, das Kinn auf das Knie gelegt. Im
Haus brennt kein Licht. Kein Auto und keine Fahrräder zeugen von neuen
Bewohnern. Ich rüttle an der Terrassentür zum Wohnzimmer, sie lässt sich nicht
öffnen. An den Fensterrahmen hängen Spinnweben, die ich mit dem Ellenbogen
wegmache. Ich drücke meine Stirn an das Glas. Im Zimmer steht unser Sideboard
an der Wand, daneben zusammengerollt unser Flokati, das Sofa steht in der Mitte
des Raumes, darauf liegt mein kleiner Tennisschläger.
    JULIE IST WEG. ICH SUCHE sie
im Haus, zuerst öffne ich die Tür zum Keller und gehe ein paar Stufen hinunter,
weiter traue ich mich nicht. Die Stille im Haus macht mich verrückt. Ich schaue
durch alle Fenster, aber ich entdecke niemanden, laufe mit schnellen Schritten
in den Garten und werfe die Tür hinter mir zu. Auch bei Jan sieht noch alles
verlassen aus, der Transporter ist weg.
    Das Dorf kommt mir

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