Sommertochter
Zeigefinger weg. Bier mit Grenadinesirup, sagt sie, das
Monaco sei kein Bier der Bretagne, sondern ein südfranzösisches Bier. Nur
selten komme es vor, dass jemand es hier bestelle. Ich nehme einen Schluck,
eine Mischung aus süÃlich und herb.
Man schütte den Sirup ins Glas und fülle es dann mit Bier auf, sie
macht eine Pause, nimmt wieder einen Schluck, dann noch einen. Sie zündet sich
eine Zigarette an, ihre Hände zittern ein wenig. Mein Vater habe das Monaco
immer bestellt, wenn er hier gewesen sei, sagt sie und stellt das Glas auf dem
Tisch ab, reibt sich die Hände, als sei ihr kalt. Er habe es regelmäÃig bei ihr
getrunken, am Tresen sitzend oder hier, wo wir gerade säÃen, auf den weiÃen
Plastikstühlen auf der StraÃe. Sie wisse noch, wie er das erste Mal in der Bar
du Matin stand, sie habe sich gerade selbstständig gemacht und ihren
Lehrerinnenberuf hinter sich gelassen, jeden Tag Referate halten und die
Aufmerksamkeit so vieler Augenpaare nur auf sich zu spüren, das sei ihr zu viel
gewesen. Die Bar habe sie damals vielleicht ein halbes Jahr gehabt, vielleicht
neun Monate, so genau könne sie sich nicht mehr erinnern. Zu der Zeit sei das
Dorf in Mode gekommen, als mondän sei es in Reiseführern beschrieben worden.
Sie habe Glück gehabt, dass ihr der GroÃvater zwei alte Fischerhäuser und das
Haus mit den Ladenräumen vererbt habe, sie selbst hätte nie das Kapital gehabt.
Camille klingt, als müsse sie etwas wegreden. In dem einen Haus wohnte sie, das
zweite vermietete sie und das dritte, in das investierte sie und eröffnete die
Bar. In das Dorf sind von Saison zu Saison mehr Touristen gekommen und von Jahr
zu Jahr schickere Touristen, die Läden wurden edler und schöner und die Preise
höher, es waren goldene Jahre. Und eines Abends stand mein Vater in der Bar,
die Haare zerzaust und die Haut braun von der Sonne, und er sah so auffallend
anders aus mit seinen kurzen Shorts, dem ausgewaschenen T-Shirt und seinem
Dreitagebart, den sonst niemand trug. DrauÃen vor der Tür stand sein Auto,
etwas verbeult, auf der Rückbank Zelt, Isomatte und Schlafsack. Er habe ein
Monaco bestellt und musste ihr erklären, was das ist, sie kannte es nicht. Ein
Bier mit rotem Sirup, sie habe den Kopf geschüttelt und musste verneinen,
Grenadinesirup, den habe sie nicht hier. Aber als er am nächsten Abend wieder
auftauchte, diesmal zu Fuà und in einer hellen Leinenhose, da konnte sie ihm
den Grenadinesirup bereits anbieten. Camille wirkt wie ein junges, plapperndes
Mädchen. Sie nimmt noch einen groÃen Schluck, bis nur noch ein bisschen Schaum
im Glas ist, dann steht sie mit einem Ruck auf, als habe sie es eilig, streicht
sich die Hände an der Schürze ab. »Gehen wir morgen spazieren?«, fragt sie. Zum
ersten Mal seit langer Zeit habe ich das Gefühl, dass sich etwas mit hoher
Geschwindigkeit auf mich zubewegt.
NACHTS BIN ICH MANCHMAL allein. Meine Mutter verlässt die Wohnung, wenn ich schlafe. Vom Geräusch der
Wohnungstür wache ich auf, auch wenn sie versucht, die Tür leise ins Schloss zu
ziehen. Ich sage ihr nicht, dass ich weiÃ, dass sie nachts fort ist. Ich gehe
zum Fenster, schiebe den Vorhang beiseite und sehe sie, wie sie aus dem Haus
tritt, wie sie zu Fuà die nasse, verregnete StraÃe entlanggeht, fast schon
eilt, und sich nicht umdreht. Meine Mutter im schwarzen Mantel, die Haare
hochgesteckt zu einem Dutt, der den Nacken freilegt und im Schein der
StraÃenlaterne noch weiÃer ist als sonst. Ich öffne die Balkontür und gehe
hinaus. Wenn ich mich darauf konzentriere, kann ich das Klappern ihrer Absätze
auf dem Asphalt hören. Wir haben kein Auto mehr. Es gäbe Bus und Bahn und ich
könnte mein Fahrrad nehmen, hat meine Mutter gesagt.
Abends bevor sie weggeht, steht sie lange vor dem Spiegel, hält sich
erst das geblümte, dann das schwarze Kleid vor die Brust, steigt dann doch in
eine Jeans, die am Po eng sitzt, und streift ein T-Shirt mit
Wasserfallausschnitt über, so nennt sie den Stoff, der vorne an ihrem
Oberkörper in groÃen Falten liegt.
Wenn der Verkehr auf der StraÃe vor unserem Haus lauter wird, wenn
die StraÃenbahnen auf den Gleisen quietschen und die Lieferwagen mit
eingeschalteten Warnblinkern auf der StraÃe parken, um ihre Ware für Bäcker und
Supermärkte auszuladen, wenn mein Wecker klingelt, ist meine Mutter wieder
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