Sommerzeit
fragte Tanja. »Gibt’s da ein Hotel?«
»Nein«, lachte Oleg. »Das ist alles Naturschutzgebiet. Da gibt es nur ein paar kleine Holzhütten. Die restliche Insel ist unbewohnt. Und das ganze Jahr über wohnt dort kein Mensch.«
Vera war gerührt, als sie sah, wie glücklich ihr Vater war. Von dieser Reise träumte er schon sein ganzes Leben lang.
Jetzt würde dieser Traum endlich in Erfüllung gehen.
Dienstag, 11. Juli
K arin erwachte von selbst und streckte die Hand nach dem Wecker auf ihrem Nachttisch aus. Fünf vor sieben. Sie blieb eine Weile liegen und dachte über die Ereignisse des Vortages nach. Sie sah wieder Peter Bovides geschundenen Körper vor sich.
Auf den ersten Blick gab es in seinem Leben nichts Auffälliges. Peter Bovide war ein ganz normaler Familienvater gewesen, der mit einem Kompagnon eine Baufirma leitete. Johnny Ekwall hatte ehrlich geantwortet. Karin war gespannt auf die Ergebnisse der Untersuchungen, die ihre Kollegen durchgeführt hatten, bei Peter Bovide zu Hause und in der Firma. Am späten Abend des Vortags waren sie noch immer damit beschäftigt gewesen.
Sie stieg aus dem Bett. Dass sie morgens immer gut aufgelegt war, war eine Eigenschaft, die sie mit Knutas teilte. Sie überlegte, welche anderen Gemeinsamkeiten sie hatten. Wie wäre er die Ermittlungsarbeiten angegangen? Sie wusste schon jetzt, dass sie ihn auch heute wieder anrufen würde.
Sie öffnete das Fenster. Da sie im obersten Stock wohnte, blickte sie über Dächer und Meer. In der Ferne war eine Fähre zu ahnen, die den Hafen von Visby verließ.
Die Bodenbretter knarrten unter ihren Füßen, als sie in die Küche ging. Ihr Kakadu Vincent war wach und wünschte ihr auf Englisch einen guten Morgen. Er war der einzige zweisprachige Kakadu, den sie kannte. Karin hatte ihn von einer australischen Freundin übernommen, die einige Jahre zuvor in ihr Heimatland zurückgekehrt war.
Sie kochte sich eine Kanne Tee und schmierte sich zwei Brote. Holte die Zeitung aus dem Briefschlitz und schaltete das Radio ein. Der Mord an Peter Bovide dominierte natürlich die Nachrichten. Erleichtert stellte sie fest, dass die Meldungen keine Überraschungen enthielten, sondern nur das, was die Polizei bereits bekanntgegeben hatte. Nachdem sie sorgfältig alles gelesen hatte, was dort über den Mord stand, überflog sie den Rest der Zeitung. Eine Notiz in Gotlands Tidningar weckte ihr Interesse.
Die russischen Kohlenlieferungen für die Zementfabrik in Slite sollten ab dem Herbst verdoppelt werden. Die Frachtschiffe sollten den Hafen von Slite wöchentlich anlaufen, statt wie bisher alle vierzehn Tage. Die Fabrik steigerte ihre Produktion, und in ihre Öfen wurde Kohle als Brennstoff verwendet. Der Steinbruch in Slite gehörte zu den größten des Landes.
Sie goss sich noch eine Tasse Tee ein. Etwas an diesem Artikel gefiel ihr nicht, aber sie wusste nicht genau, was. Sie las ihn noch einmal, diesmal genauer. Konnte nichts Besonderes entdecken.
Aber es würde ihr sicher noch einfallen.
D as Telefon klingelte, ehe Karin auch nur ihre Bürotür geöffnet hatte. Sie erkannte sofort die erregte Stimme der Chefin des Tourismusbüros. Egal, worum es ging, bei Sonja Hedström hörte sich alles an wie eine komplette Katastrophe. Allein schon der Klang ihrer Stimme konnte noch dem ruhigsten Menschen erhöhten Blutdruck und Herzklopfen bescheren.
»Hallo, du, hier ist Sonja Hedström. Bei uns rufen dauernd besorgte Campingplatzbetreiber und Gäste an. Die Öffentlichkeit scheint zu glauben, dass dieser schreckliche Mord mit der Tatsache zusammenhängt, dass der Mann auf einem Campingplatz gewohnt hat.«
Wie immer ging die Touristenchefin davon aus, dass alle Welt Zeit hatte, um mit ihr zu reden. Sie fragte nicht, ob sie störe. Karin riss sich zusammen, um sich nicht allzu übellaunig anzuhören.
»Ach?«
»Ja, es hat schon gestern Vormittag angefangen und seither ist es eskaliert. Jetzt laufen auch schon massenweise Stornierungen ein – was soll werden, wenn sich die Leute nicht mehr hertrauen? Und was, wenn der Mörder in einer weiteren Touristeneinrichtung zuschlägt?«
Die Hochsaison auf Gotland war sehr kurz, von Mittsommer bis Mitte August. Dann besuchten zwischen drei-und vierhunderttausend Gäste die Insel, deren Bevölkerung nur aus etwa sechzigtausend Ansässigen bestand. Natürlich war das Geld, das diese Reisenden brachten, unersetzlich. Karin hatte also durchaus Verständnis für Sonja Hedströms Besorgnis.
»Du
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