Sommerzeit
Vendela Bovide misshandelt worden ist, also Peters Frau?«
Ants schien die ganze Zeit auf diese Frage gewartet zu haben.
»Das war nicht so geplant. Wir waren verzweifelt, weil wir unser Geld nicht bekommen hatten und weil Peter tot war. Und dieser andere, Johnny, der sagt, dass er nichts mit dem Geld zu tun hat. Die Einzige, die uns bezahlen konnte, war also Peters Frau. Wir hatten gehört, dass sie zu Hause einen Safe hätten. Wir wollten sie nicht schlagen, aber Evald ist durchgedreht.«
»Evald? Soll das heißen, dass nur er sie misshandelt hat? Und ihr anderen habt einfach nur zugesehen? Oder habt ihr vielleicht so lange ihre beiden kleinen Kinder getröstet?«
Karin war wütend geworden, weil der Mann solche Ausflüchte lieferte.
Ants schlug die Augen nieder.
»Nein, wir haben nicht daran gedacht, dass sie Kinder hatte. Es tut mir leid, aber wir waren verzweifelt. Wir wussten nicht, was wir machen sollten.«
Karin und Wittberg wechselten einen Blick.
»Haben Sie eine Waffe?«
»Eine Waffe? Nein.«
Der Mann auf der anderen Seite des Tisches schüttelte den Kopf.
»Und Ihre Freunde?«
»Nein, ich glaube nicht.«
»Wo waren Sie am Morgen des 10. Juli, so gegen sechs?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Ants, und zum ersten Mal zitterte seine Stimme.
»Überlegen Sie jetzt gut«, forderte Karin ihn auf.
»Am 10. Juli, so früh am Morgen. Da habe ich in der
Baracke draußen auf Furillen geschlafen. Wir haben da übernachtet. Ja, ich war sicher schon auf. Wir fingen immer um sieben an zu arbeiten.«
»Kann das irgendwer bezeugen?«
»Ja, meine Kumpels hier. Wir waren alle drei dort.«
»Nur Sie?«
»Ja, nur wir haben da übernachtet.«
»Also kann niemand sonst bezeugen, dass das wirklich so war?«
»Nein.«
»Mit anderen Worten, Sie haben kein Alibi für die Mordzeit?«
Ants Otsa gab keine Antwort, er starrte nur leer vor sich hin.
Gotska Sandön, 21. Juli 1985
A ls die beiden Schwestern die Landzunge Kyrkodden auf Gotska Sandön umrundeten und sich vor ihnen die Franska-Bucht öffnete, kamen sie sich vor wie Entdeckungsreisende, die soeben eine einsame Insel betraten.
Hier gab es keine Spuren menschlichen Lebens. So weit das Auge reichte erstreckte sich reine Natur. Der Strand zog sich kilometerlang in einem sanften Bogen mit feinkörnigem Sand bis nach Tärnudden auf der anderen Seite hin. Obwohl es noch Morgen war, war es schon warm, die Sonne ließ das Wasser glitzern, und die einzigen Lebewesen, die hier zu sehen waren, waren einige Mantelmöwen, die über den Stand staksten. Weiter oben zog sich ein Gürtel aus hohem Schilfrohr hin, und darüber lag der niedrige Tannenwald. Weiter konnte man sich kaum von der Zivilisation entfernen.
Sie blieben stehen, um erst einmal zu verschnaufen. Ihre Rucksäcke waren schwer, und ihre Füße schmerzten nach drei Stunden Marsch über die unebenen Sand- und Steinstrände von ihrem Lagerplatz auf der anderen Seite der Insel. Dort lagen der Zeltplatz und einige wenige Sommerhütten, die an Reisende vermietet wurden.
Oleg schwebte im Glücksrausch, seit sie einige Tage
zuvor auf der Insel eingetroffen waren. Gotska Sandön war allerdings auch schöner, als sie es sich je hatten vorstellen können. Oleg hatte ihnen die Stelle gezeigt, wo sein Urgroßvater in einer Augustnacht des Jahres 1864 beim Schiffbruch des russischen Frachters Sadnick ertrunken war. Sie hatten den Friedhof besucht und die russischen Kanonen bewundert, die noch immer am Strand der Franska Bukt standen. Das war der Lieblingsstrand der Mädchen, und sie durften dort unter freiem Himmel übernachten. Zelten war nämlich nicht gestattet.
Sie legten ihre Schlafsäcke mitten auf den Strand und stellten den Windschutz auf, obwohl es fast windstill war. Die Wettervorhersage verhieß für die nächsten Tage schönes Sommerwetter und so gut wie keinen Wind. Ein Rucksack fungierte als Kühltasche für ihr Abendessen, das aus Roastbeef und Kartoffelsalat bestand.
Als sie sich eingerichtet hatten, zogen sie sich aus und liefen nackt ins Meer. Das Wasser war frisch und kristallklar.
Sie badeten, lasen und spielten den ganzen Tag Federball. Ab und zu kam jemand vorbei, aber sie sahen schon von weitem, wenn sich jemand näherte, und konnten sich jedes Mal rechtzeitig ein paar Kleidungsstücke überziehen. Gegen Abend saßen sie und schauten aufs Wasser hinaus. Sie hatten heimlich eine Flasche Wein eingesteckt, die sie jetzt teilten.
»Prost«, sagte Tanja und hob ihren Pappbecher. »Ach, was
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