Somnambul Eliza (German Edition)
hatte Ileana nicht einen einzigen
Beweis für ihre Vampirtheorie . Valeriu war ein
Nachtmensch und ein ausgesprochener Workaholic, der von diversen Neurosen
geplagt wurde. Er hatte ihr einen rätselhaften Ring geschenkt, der zufällig
einem Ring aus einer rumänischen Vampirlegende ähnelte.
Aber der Ring hatte die Farbe geändert
und Ileana hatte das gewusst, ehe sie ihr davon erzählt hatte. Plötzlich kamen
ihr all die vernunftmäßigen Erklärungen so unglaubhaft und konstruiert vor. So
sehr sie sich auch dagegen zu wehren versuchte, die vielen Indizien waren
einfach erschlagend und sie konnte sie nicht länger ignorieren.
Dann hörte sie Sibylles leicht
schlurfende Schritte auf der Treppe und entschied sich, einem weiteren Gespräch
aus dem Weg zu gehen, indem sie sich in ihr Bett zurückzog. Tatsächlich klopfte
es wenig später an der Zimmertür und Sibylle streckte ihren von züngelnden
orangenen Flammen umspielten Kopf durch den Türspalt.
„Schlafen ist das beste, was du tun
kannst, Kätzchen. Das reinigt die Gedanken“, flüsterte sie mitfühlend und
schloss die Tür.
Schlafen konnte Eliza an diesem Abend
noch lange nicht. Sie stand wieder auf, wanderte durch das Zimmer und setzte
sich für eine Weile in ihren 60er-Jahre-Kugelsessel. Das war der Platz, an dem
sie immer am besten hatte denken können, doch heute schätzte sie besonders an
ihm, dass man die Beine anziehen und sich ganz vor der Welt verstecken konnte
und dass sich ihr niemand von hinten nähern konnte. Sie rügte sich selbst für
diesen absurden Gedanken. Weder Valeriu noch René würden des Nachts an der
Fassade hinaufklettern, durchs Fenster steigen und ihr in den Hals beißen.
Dennoch schaute sie im Badezimmer erst hinter die Tür, ehe sie begann, sich zu
waschen. Ihr Blick fiel in den Spiegel. Sie hatte schon am Morgen schlecht
ausgesehen. Jetzt ähnelte sie einer Leiche. Unwillkürlich nahm sie ihren Hals
in Augenschein, doch da waren keine mysteriösen Einstiche zu erkennen und die
Wunde auf ihrer Schulter war inzwischen auch völlig abgeheilt. Wie war das
eigentlich mit Vampiren und Spiegeln? Soviel sie wusste, hatten Vampire kein
Spiegelbild. Und Valeriu? Sie dachte an den großen Spiegel in der Eingangshalle
seines Hauses und an den Jugendstilspiegel im Bad. Bei dem Gedanken daran, wie
er sie dort im Kerzenschein entkleidet und sie später massiert hatte, wurde ihr
das Herz unendlich schwer. Sie hatte solche Sehnsucht nach ihm. Aber ob sie
jemals sein Spiegelbild gesehen hatte, vermochte sie nicht zu sagen. So sehr
sie sich zu erinnern versuchte, es wollte sich kein Bild einstellen, das ihr
diese Frage beantwortet hätte.
„Man sieht nur das, was man zu sehen
erwartet“, sagte sie halblaut zu sich selbst.
Später, in ihrem Bett, wälzte sie sich
noch stundenlang von einer Seite auf die andere. Je länger sie dalag, desto
wirrer gerieten ihre Gedanken durcheinander. Argumente und Gegenargumente
verhedderten sich zu einem bald unentwirrbaren Knäuel aus Erinnerungen,
schrecklichen Traumbildern, wie sie nur im Übergangsstadium zwischen Wachen und
Schlafen entstehen, und wilden Spekulationen, die wie ein Strudel auf sie
einstürzten. Bald waren es nur noch Gedankenfetzen und aufblitzende Bilder, die
einander in immer schnellerer und hektischerer Folge ablösten und ihren Kopf
fast zum Bersten brachten. Schweißgebadet knipste sie das Licht an und steckte
sich die Kopfhörer ihres MP3-Players in die Ohren, um die sich
verselbstständigenden, ohrenbetäubenden Gedanken aus ihrem Kopf zu verbannen.
Doch die einschmeichelnde Stimme David Bowies konnte sie nicht ertragen. Sie
erinnerte sie zu sehr an Valeriu und sie trieb ihr die Tränen in die Augen.
Auch Joe Cocker konnte sie jetzt nicht hören. Egal welchen seiner Songs sie
anspielte, sie alle schienen sich auf die eine oder andere Weise mit dem zu
befassen, was sie gerade durchlitt . Schließlich fand
sie mit einer Compilation von Flower -Power-Songs
die Art von beruhigender und harmonischer Musik, die sie brauchte. Irgendwann
wurde sie zu den Klängen von California Dreaming vom Schlaf übermannt.
Als
sie am nächsten Morgen aufwachte, fand Eliza Sibylles Prognose bestätigt. Sie
war mit den widersprüchlichsten Empfindungen und Überlegungen zu Bett gegangen
und jetzt, da sie darüber geschlafen hatte, stand für sie plötzlich und
unumstößlich fest, was zu tun war. Sie musste sich Klarheit verschaffen. Sie
liebte Valeriu. Sie konnte ihn nicht aus ihrem Leben
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