Somnambul Eliza (German Edition)
verbannen, weil ihn eine
alte Wahrsagerin für einen Vampir hielt. Sie musste zurück nach Wien und die
Wahrheit selbst herausfinden.
Als sie Sibylle wenig später unten in
der Wohnküche traf, hatte sie ihre Tasche schon gepackt.
„Du bist schon wach, Omi? Das ist doch
gar nicht deine Zeit.“
„Deine Zeit ist das normalerweise auch
nicht, mein Kätzchen. Ich wollte dich nicht verpassen. Du wirst zurück nach
Wien fahren und es wird egal sein, was ich zu dir sage, um dich davon
abzuhalten. Habe ich Recht?“ empfing Sibylle sie mit einer Zigarette in der
Hand, am Küchentisch sitzend.
„Ja, so ist es“, bestätigte Eliza. „Du
bist auch ohne deine Karten eine gute Hellseherin“, fügte sie mit einem
schwachen Lächeln hinzu.
Sibylle erhob sich, ging hinüber zur
Anrichte und goss schwarzen Kaffee, der fast die Konsistenz von Teer hatte, in
eine Tasse.
„Hier“, sie reiche ihrer Enkelin den
Pott. „Setz dich einen Moment zu mir.“
Eliza nahm auf der Eckbank neben Oma
Sibylle Platz.
„Eliza, Kätzchen, bitte tu mir den
Gefallen und sei vorsichtig. Wenn es wahr ist, ist Valeriu genauso gefährlich
wie René.“
„Du vertraust doch deinen Karten, oder?“
wollte Eliza wissen.
Sibylle nickte.
„Und ich vertraue Valeriu. Die Karten
haben in ihm keine Gefahr für mich gesehen und ich kann das auch nicht.“
Um halb neun saß Eliza im ICE nach Wien.
Sie konnte es kaum erwarten, Valeriu wiederzusehen
und gleichzeitig fürchtete sie sich davor. Wie würde sie ihm begegnen? Er hatte
ein sehr feines Gespür und ihre Nervosität würde ihm wohl kaum entgehen. Sie
konnte ihn doch nicht fragen, ob er ein Vampir war. Höchstwahrscheinlich würde
er dann befürchten, sie hätte den Verstand verloren. Sie roch an ihrem
Pullover. Oder, dem Geruch nach zu urteilen, zu viel Marihuana konsumiert.
Eliza spielte im Kopf alle möglichen Versionen durch, wie ihre Begegnung am
Abend aussehen würde und mit jeder neuen Variante wuchsen ihre Nervosität und
ihre Anspannung. Sie spürte diese latente Übelkeit in sich aufkeimen und ihre
Finger spielten abwechselnd mit ihrem Ring und den Rüschen der großen
aufgesetzten Strickblume auf ihrem schwarzen Sonia-Rykiel-Pullover.
Zu ihrer Verwunderung hatte der Zug auch
diesmal keine Verspätung und je näher sie Wien kam, desto besser wurde das
Wetter. Als die Stadt in Sichtweite kam, hatten sich die Wolken fast
vollständig aufgelöst und die Sonne tauchte alles in dieses besondere warme,
spätherbstliche Licht.
Eliza hatte sich während der Fahrt
entschieden, zuerst bei Stephan vorbeizuschauen, sich für das spontane Cat- Sitting zu bedanken und ihm ihre überstürze Abreise zu
erklären, wobei sie alle Mystery -Elemente aussparen
würde. Schließlich hatte Stephan einen sehr besorgten Eindruck gemacht, als sie
ihm zwei Tage zuvor die Katze in den Arm gedrückt und sich ohne nähere
Informationen nach Kassel verabschiedet hatte. Ein paar Informationen möglichst
allgemeiner Natur war sie ihrem besten Freund jetzt dringend schuldig. Sie
würde mit Stephan eine Tasse Kaffee trinken und wenn sie sich anschließend auf
den Weg zu Valeriu machte, standen die Chancen recht gut, ihn auch anzutreffen.
Doch ehe sie sich in die U-Bahn setzte,
benötigte sie noch eine Toilette. Sie durchquerte die Bahnhofshalle und folgte
der Beschilderung. Auf dem Weg beschlich sie das eigenartige, ungute Gefühl,
verfolgt zu werden, doch das war ganz bestimmt ihren bloßliegenden Nerven und
der Übersensibilisierung der vergangenen Tage zuzuschreiben. Es war helllichter
Nachmittag und es waren viele Reisende unterwegs. Vor Vampiren brauchte man
sich nicht vor Einbruch der Nacht zu fürchten, versuchte sie sich selbst zu
beruhigen und musste gleich darauf über diesen aberwitzigen Gedankengang
schmunzeln. Dennoch war sie froh, als sie die ausgeschilderte Tür mit der
Aufschrift WC erreichte, selbige hinter sich schloss und die anonyme Masse
Reisender hinter sich lassen konnte. Nur eine Frau mit Rucksack, die sich im
Vorraum die Hände gewaschen hatte, drängte an ihr vorbei nach draußen.
Plötzlich war es ganz still und Eliza
war allein. Sie wählte die am wenigsten verschmutzte Kabine und legte den
Türriegel um. Einen Moment später wurde eine Tür mit Wucht zugeschlagen und
Eliza zuckte unwillkürlich zusammen. Dem donnernden Geräusch nach zu urteilen,
handelte es sich um die schwergängige Metalltür, die hinaus zur Bahnhofshalle
führte. Gleich darauf waren schwere Schritte zu hören,
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