Somnambul Eliza (German Edition)
haben.
Tatsächlich hatte sie ihn wohl verdrängt. Sie hatte ihn in die hinterste Nische
ihres Geistes verbannt, nicht gewagt ihn zu denken, geschweige denn, ihn
auszusprechen. Im Alten Ägypten war es die schlimmste Strafe gewesen, jemandes
Namen auszulöschen, man hatte Menschen totgeschwiegen. Das war es, was sie mit
diesem Wort getan hatte und mit allem, was damit zusammenhing. Wenn es Vampire
gab und Valeriu einer war, dann ernährte er sich von Menschenblut. Eliza dachte
an Filme, in denen Christopher Lee oder Frank Langella ihre Reißzähne in die Kehlen junger Frauen schlugen. Sie schauderte. Wenn es so
war, warum war sie dann noch am Leben?
Wenn ich versuche, mich körperlich von
dir fernzuhalten, dann nur, um dich zu beschützen.
Es war seine schöne Stimme in ihren
Gedanken, die ihr die brennend heißen Tränen in die Augen trieb und es fühlte
sich so an, als würden sie in der kalten Abendluft noch auf ihren Wangen zu Eis
gefrieren.
Instinktiv griff sie nach dem Ring an
ihrem Finger und strich sanft mit der vor Kälte prickelnden Hand über den nun
warmen, glatten Stein. Valeriu hatte ihr diesen Ring gegeben, obwohl er für ihn
Gefahr bedeutete, welcher Natur diese Gefahr auch sein mochte. Wenn all das
wahr war, so war dies der größte Liebesbeweis, den er ihr erbringen konnte.
Der Auedamm war menschenleer. Gerade kam
sie an der Spitzhacke vorbei, die schon immer ihr ganz persönliches Kasseler
Wahrzeichen gewesen war. Sie wies ihr den Weg nach Hause. Von hier aus konnte
man zu ihrem Elternhaus auf der anderen Seite der Fulda hinüberblicken und
ebenso konnte man von ihrem Zimmerfenster aus die Spitzhacke sehen. Claes
Oldenburg hatte die Skulptur anlässlich der documenta 7 an dieser Stelle
errichtet. Ihr Vater hatte ihr aber immer erzählt, der Herkules hätte die
Spitzhacke zum Jubel über ihre Geburt in direkter Fluglinie hier ans Fuldaufer
geworfen, um auf das freudige Ereignis aufmerksam zu machen. Heute jedoch
wirkte ihre geliebte Skulptur nur bedrohlich und unheilvoll auf Eliza. Wie ein
drohendes Monument schälte sich ihr Umriss aus dem von der Schneeluft
verfinsterten Abendhimmel, wie ein spitzer Reißzahn bohrte sie sich grausam und
erbarmungslos in die vom Schnee bedeckte Grasnarbe. Erst jetzt kam ihr René in
den Sinn. Der Ring hatte auf Valeriu und René gleichermaßen reagiert. Wenn sie
sich schon auf dieses Gedankenexperiment einließ, dann musste sie davon
ausgehen, dass René ebenfalls ein Vampir war. Und während Valeriu sie zu
beschützen versuchte, war René ihr erklärter Feind. Eliza fröstelte und
beschleunigte ihren Schritt. Als sie die Drahtbrücke erreichte, wurde sie von
plötzlicher Panik erfasst. Eliza begann zu rennen, als könnte sie vor den
tobenden Gedanken in ihrem Kopf davonlaufen. Der eiskalte Schneewind peitschte
ihr unbarmherzig ins Gesicht, als sie über die Brücke stürmte und der hämmernde
Schlag ihres Herzens dröhnte bummernd in ihrem Kopf. Atemlos erreichte sie das
andere Ufer.
Eliza benötigte mehrere Versuche, um den
Haustürschlüssel ins Schloss zu manövrieren. Ihre Finger waren klamm und
zitterten wie Espenlaub. Es war totenstill im Haus und sie wünschte, Felis wäre
da und würde ihr zur Begrüßung um die Beine streichen. Sie stieg die knarzende
Treppe empor und knipste auf dem Weg in ihr Zimmer alle Lichtschalter an, an
denen sie vorbeikam. Ihr Zimmer war der schönste Raum im ganzen Haus, mit
seinem romantischen Balkon und dem herrlichen Blick über die Fulda. Heute
überprüfte sie als erstes, ob Fenster und Balkontür ordentlich verriegelt waren
und wollte gerade die Vorhänge zuziehen, als unten vor dem Haus ein Taxi hielt.
Ihr Herzschlag setzte für einen Augenblick aus, doch dann erkannte sie, wie
sich Sibylle im Schein der Straßenlaterne aus dem Fond des Wagens schälte.
Eliza war erleichtert, dennoch zog sie entschlossen die Vorhänge zu. Für heute
hatte sie eindeutig genug Input in Hinblick auf Magie und Übersinnliches. Sie
musste sich darüber klar werden, was sie von dieser ganzen Geschichte zu halten
hatte. War es nicht vielleicht wie bei den wilden Alien-Theorien von Erich von
Däniken, die, während man sie las, so vollkommen glaubhaft und logisch
erschienen und bei denen erst aus der Distanz deutlich wurde, wie konstruiert
und wissenschaftlich unhaltbar sie waren?
Wie konnte sie dieser abenteuerlichen
These eigentlich so viel Beachtung schenken und so viel Gewicht beimessen,
ermahnte sie sich selbst. Nüchtern betrachtet
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