Somnambul Eliza (German Edition)
verarbeiten. Diese
Begriffe Spezies , Raubtier , Jäger ließen ihre Kehle ganz
trocken werden und sie hegte den stillen Verdacht, dass er diese drastischen,
archaischen Ausdrücke nur gewählt hatte, um ihrem Wunsch nach unverblümter
Direktheit nachzukommen. Doch er sprach bereits weiter: „Kannst du dich an
unser Gespräch über den Epilog des Goldnen Topfes
erinnern, über den heiligen Einklang aller Wesen ?“
Eliza nickte stumm.
„ Ich bin dieser Fehltritt der
Evolution. Eine Bestie ohne natürliche Feinde, abgesehen vom Licht der Sonne.
Verdammt zum ewigen Leben im Schutze der Nacht. Verdammt, mich vom Lebenssaft
anderer zu ernähren. Mein Leben bedeutet Tod, Eliza.“
Valeriu hatte sie die ganze Zeit über
eindringlich angesehen und sie hatte seinem Blick standgehalten, obwohl es ihr
so schwer gefallen war, die unsagbare Trauer und die namenlosen Seelenqualen,
die aus seinen bunten Augen sprachen, zu ertragen. Aber nun schien er ihrem
Blick nicht mehr gewachsen zu sein und blickte stattdessen zu Boden.
„Du tötest Menschen, um zu leben?“
fragte Eliza und ihre Stimme klang blechern und fremd.
Er blickte zu ihr auf, doch er wandte
die Augen sofort wieder ab.
„Nein. Mittlerweile gibt es andere
Methoden. Laurin versorgt uns mit Blutkonserven. Aber
ich habe es getan, zu Anfang, als ich es nicht besser wusste und noch nicht
gelernt hatte, den Durst und die Gier in Zaum zu halten. Es liegt lange zurück
und doch habe ich diese schwere Schuld mehr als einmal auf mich geladen. Das
werde ich mir nie verzeihen.“
Einen Moment lang schien Valeriu völlig
in seine eigene Gedankenwelt versunken zu sein und seine von maßlosem Schmerz
erfüllten Augen schienen Elizas Anwesenheit kaum noch wahrzunehmen. Doch dann
schüttelte er die Dämonen seiner Vergangenheit ab und trat zur Tür, wo er einen
High-Tech-Netzhautscanner betätigte, wie Eliza ihn nur aus James-Bond-Filmen
kannte.
„Nur noch einen Augenblick länger mit
mir hier eingesperrt zu sein, muss dir unerträglich sein“, stellte er mit
tonloser Stimme fest. „Aber auch wenn es dir jetzt so vorkommen mag, bin ich
doch kein Monster, das dich in seiner Höhle gefangen halten will.“
Eigentlich konnte sie ihm kaum
widersprechen. Sie war bereit gewesen, von diesem gebildeten, hochkultivierten
Mann, den sie liebte, anzunehmen, dass er um Mitternacht in der Manier eines
Grafen Dracula durch die Straßen schlich und Jungfrauen aussaugte, bis sie tot
in seinen Armen lagen. Blutkonserven . Das war in der heutigen Zeit die
klügste und naheliegendste Lösung und dennoch hatte
sie etwas Derartiges nicht in Betracht gezogen. Er schien keine Ahnung zu
haben, welche Erleichterung seine Worte in ihr ausgelöst hatten, die sie seit
nunmehr drei Tagen mit dem Gedanken schwanger ging, mit einem mordenden Gothic - Novel -Vampir liiert zu
sein.
Valeriu stand mit gesenktem Haupt wenige
Schritte von der Tür entfernt, offenbar um keinen bedrohlichen Eindruck auf sie
zu machen und sie ungehindert passieren zu lassen. Er wirkte niedergeschlagen
und müde und in seinen bunten, nun merkwürdig fahlen Augen lagen mit einem Mal
das ganze Wissen, die ganze Trauer und der ganze Schmerz seiner ewigen Existenz
vor ihr ausgebreitet.
Eliza erhob sich von der Bettkante, auf
der sie die ganze Zeit wie versteinert gesessen hatte und trat auf die nun weit
offen stehenden Flügeltüren zu. Doch statt hindurchzugehen und die Flucht zu
ergreifen, wendete sie sich Valeriu zu und strich ihm sanft die blonden Haare
aus dem Gesicht. Er sah eher aus, als würde er eine Ohrfeige oder ähnliche
emotionale Ausbrüche der Wut und Ohnmacht erwarten, die er offenbar stoisch zu
ertragen bereit gewesen wäre, doch mit dem, was sie stattdessen tat, schien er
in keiner Weise gerechnet zu haben. Sein schönes, angespanntes Antlitz verriet
seine Verwirrung, seine Überraschung, sein Unverständnis, als sie ihm
geradewegs in die fiebrig matten Augen sah und sich dann zögernd an seine
kühle, weiße Brust schmiegte.
„Ich liebe dich, Valeriu. Ich fürchte
mich nicht vor dir und ich bin nicht fähig, dich für das zu hassen, was du
bist“, flüsterte sie und endlich wagte er es, zaghaft die Arme um sie zu legen.
Sie genoss die Zärtlichkeit seiner sanften Umarmung und kuschelte sich enger an
seinen Körper.
„Weißt du auch wirklich was du da
sagst, Eliza?“ fragte Valeriu ebenso leise und seine Stimme war voller
Zärtlichkeit. Doch dann hielt er sie plötzlich von sich weg und zwang sie,
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