Somnambul Eliza (German Edition)
betrachtet, wenn seine Augen geschlossen
waren. Es wirkte so friedlich und engelsgleich, wenn nicht seine aufmerksamen,
bunt schillernden Augen auf sie gerichtet waren. Sie nahm sich Zeit, sich jede
Einzelheit einzuprägen, von den feinen Bögen seiner perfekt geschwungenen
Augenbrauen, über die dichten Wimpernkränze und die Lidränder, die wie mit
dunklem Kajal umrandet wirkten, bis zu den leichten Verschattungen unterhalb seiner hohen Wangenknochen und der kleinen Vertiefung oberhalb des Amorbogens seiner sinnlichen Oberlippe.
Es war, als betrachte sie ein Kunstwerk,
das nicht von Menschenhand geschaffen worden war. Viel zu harmonisch waren
seine Züge und der perlmutterne Glanz seiner blassen Haut schien nicht von
dieser Welt zu stammen.
Nachdem sie lange nur dagesessen und ihn
angesehen hatte, begann sie nach und nach auch den Raum wahrzunehmen, in dem
sie sich befand. Sie musste sich ein wenig ablenken, anderenfalls würde sie in
den kommenden Stunden den Verstand verlieren. Es war kein Schlafzimmer im
eigentlichen Sinn, vielmehr handelte es sich um eine Mischung aus einer
herrschaftlichen Hotelsuite und einem Raum in der Tradition barocker Kunst- und
Wunderkammern. An den Wänden hingen Gemälde der verschiedensten Künstler
unterschiedlicher Epochen. Als erstes fiel Elizas Blick auf ein hochformatiges Gemälde im Stil des französischen Rokoko. Es
zeigte vor der Kulisse einer idealisierten Parklandschaft eine Gruppe von
höfisch gekleideten Personen. Ein Herr mit opulenter weißer Perücke und grünem
Gehrock lehnte lässig an einer Skulpturengruppe, die aus zwei miteinander kabbelnden
Amoretten bestand. Neben ihm, auf einer zierlichen weißen Rokoko-Bank, saßen
eine Dame und ein junges Mädchen in üppigen pastellfarbenen Kleidern, von denen
das zierliche Mädchen fast verschluckt wurde. Vermutlich handelte es sich um
Mutter und Tochter. Hinter der Bank stand, halb im Schatten der in luftiger
Manier ausgeführten Weide, ein Jüngling in eben dem blauen Samtgehrock, den
Eliza vor einiger Zeit in Valerius Ankleidezimmer entdeckt hatte. War das
wirklich möglich? Sie hielt die Luft an und trat auf das Bild zu, um den
Jüngling genauer in Augenschein zu nehmen. Er trug ebenfalls eine Perücke, wenn
auch keine so übertriebene, wie der Herr am Bildrand. Obwohl diese Perücken
immer uniformierend wirkten, so waren sein schönes scharf geschnittenes Gesicht
mit den aristokratischen Zügen und die aufrecht-elegante Haltung seines
schlanken Körpers doch von höchstem Wiedererkennungswert. Konnte das wirklich
Valeriu sein? Eliza konnte die Signatur des Künstlers nicht entziffern, doch
die Datierung war eindeutig. 1765 stand dort in kursiver, akkurater Handschrift
am rechten unteren Bildrand. Bei dem Gedanken wurde ihr ein wenig schwindelig.
Es konnte sich aber ebenso gut um ein Familienerbstück handeln, das einen
seiner Vorfahren portraitierte, der zufällig große Ähnlichkeiten mit Valeriu
hatte, ermahnte sie sich.
Dann wandte sie sich dem nächsten
Gemälde zu und diesmal war ihr Erstaunen noch größer. Es konnte kein Zweifel
bestehen. Der junge Mann, der lässig im Reiteroutfit, mit rotem Rock,
Jabot-Kragen, weißer Hose und hohen Lederstiefeln, an einen Baum gelehnt neben
seinem Pferd posierte, war Valeriu. Er trug keine Perücke und hielt seinen Hut
in der Hand. Sein blondes Haar war vom wilden Ritt ganz zerzaust. Seine
strahlenden bunten Augen musterten den Betrachter unverwandt, vielleicht ein
wenig spöttisch und überheblich. Das Gemälde war auf 1787 datiert und von
keinem Geringeren als Sir Joshua Reynolds signiert.
Ein weiteres Portrait zeigte Valeriu
mehr als einhundert Jahre später in einem abgedunkelten Salon mit
überschlagenen Beinen in nonchalanter Haltung in einem Sessel sitzend und mit
einem kühlen, emotionslosen Blick in seinen herrlichen bunten Augen, der Eliza
frösteln lies. Seine wallenden blonden Haare lagen perfekt und sein blasser
Teint wirkte gegen den dunklen Hintergrund geradezu gespenstisch weiß. Im
schwarzen Maßanzug mit opulentem weißem Hemdkragen sowie mit dem figurbetonten Gehrock mit Pelzbesatz darüber, die eine
elegante Hand in lässiger Denkerpose an der Schläfe, die andere einen silbernen
Gehstock haltend, war er buchstäblich der Inbegriff des Dandytums um die
Jahrhundertwende. Die Datierung lautete 1892. Die Signatur war nicht eindeutig,
aber Eliza vermutete, dass es sich um James Whistler handeln könnte.
1765, 1787 und 1892 ;
Eliza musste sich diese drei
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