Somnambul Eliza (German Edition)
Jahreszahlen immer wieder laut vorsagen, um sich
wenigstens einen entfernten Begriff davon zu machen, was diese Entdeckung
bedeutete.
Bei den anderen Gemälden handelte es
sich nicht um weitere Portraits eines Zeitreisenden, sondern was folgte, war
eine kleine Sammlung von Bildwerken von musealem Rang mit Schwerpunkten bei der
deutschen und englischen Romantik und dem Symbolismus und Jugendstil des Fin de
Siècle. Eine kleine, dunkle Friedhofsszene von Caspar David Friedrich hing neben
Eliza unbekannten, aber nicht minder spektakulären Arbeiten von den englischen
Präraffaeliten Dante Gabriel Rossetti und John Everett Millais, von den
Symbolisten Arnold Böcklin , James Ensor und Fernand Khnopff .
Eliza schwirrte regelrecht der Kopf
angesichts der Fülle und der Qualität dieser privaten Sammlung.
Dann wurde sie auf den alten
Bücherschrank aufmerksam, hinter dessen milchigen Scheiben einige sehr alte
Bände verwahrt wurden. Vorsichtig öffnete sie die knarzende Schranktür und
betrachtete die ledernen Buchrücken, die allesamt noch älter waren, als die
Bücher oben in der Bibliothek. Einige der Titel konnte sie nicht entziffern,
doch die Namen der Autoren, darunter Mihail Eminescu und Vasile Alecsandri , ließen sie vermuten, dass es
sich um rumänische Literatur in Originalsprache handeln musste.
Hinter den Türen des Aufsatzes des
Art-Déco-Sekretärs, der neben dem Bücherschrank stand, vermutete Eliza weitere
literarische Raritäten, doch was sie stattdessen fand, war ebenfalls
interessant. Auf einem großen, in mehrere Segmente gesplitteten Flachbildschirm
hatte man über verschiedene Kameras alle Korridore und Zimmer der Villa sowie
die gesamte Außenanlage des Anwesens von der Auffahrt bis zu allen Teilen des
Parks im Blick. Eliza klickte sich durch die verschiedenen Kameras, doch was
unauffindbar blieb, waren Kamerabilder, die ihr Jugendstilschlafzimmer oder das
angrenzende Badezimmer zeigten. Eliza lächelte in sich hinein. Valeriu war in
jeder Hinsicht ein Gentleman.
Aber vor allem beschäftigten sie noch
immer die drei Portraits. Sie konnte sich nicht ablenken; nicht von den
Portraits, nicht von Valeriu und schon gar nicht von der Angst, ihn verloren zu
haben.
War der Mann, den sie liebte, wirklich
ein Vampir, der seit mehr als 250 Jahren auf der Erde wandelte? Gerade dann
konnten ihr doch nicht nur diese wenigen Wochen an seiner Seite vergönnt
gewesen sein. Sie konnte den furchtbaren Gedanken nicht ertragen, seine
wunderbare Stimme nie wieder ihren Namen sagen zu hören. Wieder stand Eliza an
seinem Bett und die völlige Reglosigkeit, mit der er dalag und die Verbände,
die seine Brust und seinen Bauch bandagierten, trieben ihr erneut die Tränen in
die Augen. Sie brauchte seine Nähe. Also zog sie ihre Stiefeletten aus und
legte sich vorsichtig neben ihn. Behutsam bettete sie ihren Kopf in Valerius
Armbeuge und atmete den berauschenden, vertrauten Duft seiner Haare ein. Sie
hatte unendlich viele Fragen an ihn und doch wollte sie manche Antworten gar
nicht kennen. Immer wieder blitzte für Sekundenbruchteile das Bild des
spritzenden Blutes aus ihrem Alptraum auf und sie weigerte sich hartnäckig, die
damit verbundenen Gedanken zu Ende zu denken. Wenn er ein Vampir war, dann
ernährte er sich von menschlichem Blut und er tötete Menschen, um seinen Hunger
zu stillen. Würde sie damit leben können? Doch statt sich vor ihm
zurückzuziehen, kuschelte sie sich noch enger an Valeriu, bis sie in seinem
kalten, reglosen Arm einschlief.
Eliza
wachte erst wieder auf, als etwas neben ihr in Bewegung geriet. Schlaftrunken
schreckte sie hoch und schaute in die bunt schillernden Augen, die sie so sehr
liebte. Im ersten Moment konnte sie nicht fassen, was sie sah und wich vor
Valeriu zurück, als habe sie einen Geist gesehen und auch aus seinem Blick
sprach zuerst Irritation.
„Ich hatte solche Angst. Ich dachte, du
–“, stotterte sie und war unfähig den Satz zu beenden.
Valeriu erlangte seine Fassung schneller
zurück und ging mit ruhigen, beschwichtigenden Worten auf ihre Verängstigung
ein. „Alles ist gut, Liebste. Hab keine Angst. Mir geht es gut und du bist in
Sicherheit.“
„Aber ich habe gesehen, wie du gestorben
bist“, brach es aus ihr hervor und erneut rollten ihr die Tränen über die
Wangen.
Erst sah es so aus, als wolle Valeriu
sie in die Arme schließen, um sie zu trösten, doch er ließ die Hände wieder
sinken und fragte stattdessen mit ernster Stimme: „Wie lange
Weitere Kostenlose Bücher