Somnambul Eliza (German Edition)
Schutz Gewährendes.“
Eliza hielt den Atem an, plötzlich stand
er direkt neben ihr und sie hatte ihn nicht einmal näher kommen sehen.
Anerkennend nickte sie ihm zu. Ein zartes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Noch niemals hatte sie einen so schönen Menschen gesehen. Hohe, markante
Wangenknochen, eine perfekte, gerade Nase und sinnlich geschwungene Lippen
prägten sein blasses, schmales, makelloses Antlitz. Doch das Exotischste an ihm
waren seine Augen, in denen Eliza augenblicklich zu ertrinken drohte – das
linke türkisgrün, das rechte lapislazuliblau . Eliza
musste sich förmlich von seinem Anblick losreißen. Sie spürte, wie ihr das Blut
in den Kopf schoss und ihre Wangen begannen zu glühen.
„Wenn uns sonst niemand mehr seine
Eindrücke zu diesem Bild mitteilen möchte, bitte ich Sie, mir nun in den
nächsten Raum zu folgen.“
Der Saal der Architektur, der die
Jugendstil-Architektur der Jahrhundertwende in Wien dokumentierte, kam ihr
äußerst gelegen. Ein großes Panorama-Fenster mit Blick auf den Ersten Bezirk
schlug die Brücke zwischen Gestern und Heute. Dies war der Raum, der Eliza
normalerweise eine Verschnaufpause erlaubte, denn der atemberaubende Blick auf
die Stadt und der Film zur Wiener Architekturgeschichte waren für die meisten
Besuchergruppen interessant, ohne großer Erklärungen zu bedürfen. Sie trat ans
Fenster, um sich einen Moment zu sammeln und zu akklimatisieren.
„Egon Schieles Selbstseher scheint Ihnen sehr am Herzen zu liegen. Schade, dass Sie uns nicht mehr zu
diesem beeindruckenden Werk erzählt haben.“
Eliza fuhr herum. Auch dieses Mal hatte
sie ihn nicht kommen sehen und unterstellte nun insgeheim, dass er sich einen
Spaß daraus machte, sich anzuschleichen und sie zu erschrecken. Er stand neben
ihr am Fenster, als stände er dort schon die ganze Zeit. Wieder musste sie wie
ein hypnotisiertes Kaninchen seine Augen betrachten. Er war älter, als sie
vorhin aus der Entfernung vermutet hätte. Sein athletischer Körper und die
blonden Haare machten es schwierig, sein Alter zu schätzen. Doch die leichten
Falten um Augen und Mund ließen sie auf Mitte 50 tippen. Dann richtete sie den
Blick nach draußen in die Dämmerung, um ihre Antwort stotterfrei formulieren zu
können.
„Ja, das ist richtig. Ich schreibe
gerade meine Doktorarbeit über das Doppelgängermotiv bei Egon Schiele und der Selbstseher steht im Zentrum meiner Arbeit. Die Gruppe erschien mir allerdings zu
heterogen, um ausgerechnet dieses sehr hermetische Werk in den Mittelpunkt der
Führung zu stellen. Es tut mir leid, wenn Sie gerade an dieser Stelle meines
Vortrages die nötige Tiefenschärfe vermisst haben.“
Als nächstes betrat die Gruppe den Saal
der Wiener Werkstätte. Hier waren Exponate aus allen Produktionsbereichen
ausgestellt: Möbel, Vasen, Schmuck und Gläser. Eliza nannte ein paar Eckdaten
zu dieser künstlerischen Produktionsgemeinschaft, zu deren Gründern Josef
Hoffmann und Koloman Moser gehörten und deren Vorbild die britische Arts - and - Crafts -Bewegung
gewesen war. Auf einem Podest in der Mitte des Raumes war eine so genannte
Sitzmaschine Hoffmanns ausgestellt. Anhand dieses Beispiels erklärte Eliza
ihren Zuhörern die Bugholztechnik und erläuterte, dass der voluminöse
Körper, die strenge Geometrie und die bewegliche Rückenlehne den Sessel wie
eine Maschine wirken ließen. In diesem Raum fühlte sich das Wasserstoff-Pärchen
wieder sichtlich wohl. Sie schienen den Ausstellungsraum als Möbelhaus zu
betrachten, denn sie schlenderten umher und diskutierten, welche der
ausgestellten Stücke in ihr Eigenheim passen könnten.
Wie üblich blieb für die letzten drei
Räume der Ausstellung nicht mehr viel Zeit und Eliza erläuterte lediglich in
kurzen Worten die tragische Dreiecksbeziehung zwischen dem Maler Richard Gerstl und dem Ehepaar Schönberg, der sich der nächste Saal
widmete. Im Raum der Expressionisten, flankiert von Oskar Kokoschkas
Dolomitenlandschaft Tre Croci und Egon Schieles Liebespaar , verabschiedete sie sich von ihrer Gruppe,
die ihre Arbeit mit einem kräftigen Applaus belohnte.
Doch der schöne Fremde war verschwunden.
Offenbar war es ihm zum Ende der Führung zu schnell gegangen und sie hatten ihn
in einem der letzten Räume verloren. Eliza war unentschlossen, ob sie noch eine
Runde machen sollte, um ihm vielleicht noch einmal zu begegnen. Andererseits
war er absichtlich zurückgeblieben und schien keinen Wert darauf zu legen, sich
von ihr zu
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