Somnambul Eliza (German Edition)
Büchern,
machte Notizen und tippte verschiedene Rohentwürfe in ihr Notebook. Die
aufsteigenden Kopfschmerzen schrieb sie der stundenlangen konzentrierten Leserei
zu und das Kratzen im Hals der Tatsache, dass sie einfach immer zu wenig trank.
Als sie schließlich auf die Uhr sah, war
es schon fast Zeit, sich auf den Weg zu machen. Es war ein ekliger, nasskalter
Oktoberabend und Eliza fröstelte noch immer. Sie entschied sich für ein dem
Wetter angemessenes Outfit aus einem schwarz-weißen Marccain-Wollrock im Hahnentrittmuster, Strickstrumpfhose und Stiefeln. Obwohl die Verbindung mit
öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gerade ideal war und sie von zu Hause zur Bushaltestelle
in der Siebensterngasse laufen musste, um dann ab der Laudongasse in die Straßenbahn umzusteigen, entschied sie sich aufgrund ihres latenten
Unwohlseins und des schlechten Wetters für diese Alternative. Trotz des
Umsteigens brauchte sie nur 15 Minuten zur Universität, anstelle von rund
dreißig Minuten zu Fuß. Der Gastvortrag wurde im größten der Seminarräume im
Kunstgeschichtlichen Institut gehalten und es war die richtige Entscheidung,
ihn nicht in einem der großen Hörsäle außerhalb des Instituts stattfinden zu
lassen. Die lediglich rund dreißig Zuhörer hätten recht verloren in den Rängen
gesessen, was wiederum nicht unbedingt den besten Eindruck auf den
hochdekorierten Gastredner gemacht hätte. Eliza begrüßte Professor Droemer , dann nahm sie neben Karin Platz, die ihr
freundlicherweise einen Stuhl in der zweiten Reihe freigehalten hatte. Karin Steidel war Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl
für Neuere Kunstgeschichte und hatte Eliza vor ihrem „Dienstantritt“ hier alle
Räumlichkeiten gezeigt, sie mit den Medienausleihen vertraut gemacht und den
anderen Mitarbeitern vorgestellt. Karin war eine umgängliche, hilfsbereite und
sympathische Person, wenn auch für ihr junges Alter in Elizas Augen ein wenig
zu verwissenschaftlicht und zu tröge. Irgendwie merkte man es
Kunstwissenschaftlern immer an, wenn sie niemals mit jungen, lebendigen
Künstlern an einer Kunsthochschule konfrontiert gewesen waren und es lediglich
gewohnt waren, die Kunstwelt durch das distanzschaffende Mikroskop des Wissenschaftlers
zu betrachten.
„Kannst du dir vorstellen, was mir heute
passiert ist? Mitten in meinem Seminar streikte plötzlich der Beamer . Der ließ sich einfach nicht mehr mit meinem Laptop
synchronisieren. Was hab ich mich aufgeregt. Es war doch alles noch viel
besser, als wir noch mit Dias gearbeitet haben. Bei den alten Projektoren
wusste man noch woran man war und die Abbildungsqualität war auch viel besser“,
plapperte Karin drauflos und trotz des simplen Inhalts ihrer Worte, denen Eliza
eigentlich umgehend hätte wiedersprechen müssen, da sie ein glühender
Verfechter der Neuen Medien in der Kunstwissenschaft war, hatte sie Mühe,
Karins Ausführungen überhaupt zu folgen und nickte bloß beipflichtend.
Die digitale Technik hatte so vieles
vereinfacht. Ausstellungshängungen konnte man einfach mit der Digitalkamera
abfotografieren, ebenso konnte man Performances und andere flüchtige
Kunstereignisse mitfilmen . Die Arbeiten junger,
unbekannter Künstler, die noch lange in keinem Katalog abgedruckt wurden,
konnte man verewigen und im Seminarkontext präsentieren. Doch Eliza blieb stumm
und versuchte, sich wenigstens halbwegs auf Karins Redeschwall zu
konzentrierten, um an den passenden Stellen ein „ Mhm “,
„Ja“ oder ein Nicken anbringen zu können. Der Schmerz in ihrem Kopf war nun zum
Hämmern eines Presslufthammers herangewachsen und sie fühlte sich hundeelend.
Die Glieder schmerzten ihr und ihr Rücken tat weh, obwohl sie erst seit zehn
Minuten auf dem unbequemen Seminarstuhl saß. Dann begann der Vortrag. Professor Droemer sagte ein paar einleitende Worte über seinen
geschätzten Kollegen aus München, dann überließ er ihm das Wort. Der Vortrag
würde von der Ästhetiktheorie bei Clement Greenberg handeln, ein äußerst spannendes Thema, das die
Kunstkritik mit der Kunsttheorie und der Philosophie in der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts verknüpfte.
Professor Nöhbauer war ein Professor wie er im Buche stand. Er war hager, blass und hatte rötliche
Haare. Er trug einen braunen Cordsakko zur Bluejeans
und dazu eine orangefarbene Fliege zum cremefarbenen Hemd. Doch entgegen seinem
Erscheinungsbild war seine Stimme äußerst lebhaft und verriet großen Spaß und
echtes Interesse an seinem
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