Somnambul Eliza (German Edition)
Jetzt zu leben – das ist gesünder. Lass uns jetzt noch ein
wenig über erfreulichere Dinge sprechen.“
Dann stand er auf und nahm Elizas leeren
Teller mit in die Küche. Das Gespräch über seine Vergangenheit war also
beendet. Im Plauderton fragte er: „Darf ich dir nach dem Essen einen Espresso
oder noch ein Glas Wein anbieten?“
Eliza entschied sich für den Espresso.
Dann schlug Valeriu vor: „Lass uns hinüber in die Bibliothek gehen. Dort sitzen
wir gemütlicher und wenn du möchtest, werde ich den Kamin anzünden.“
Eliza war noch immer wie benommen von
der Tragik seiner Geschichte und sie wusste nicht recht, wie man jetzt so
einfach auf ein unbeschwerteres Thema wechseln
sollte. Valeriu servierte ihr den Espresso in einem Meißen-Tässchen auf einem
silbernen Tablett. Dann machte er Feuer im Kamin und beide nahmen in den großen
Ohrensesseln Platz. Es war ein urgemütliches Plätzchen inmitten der vielen
Bücher und das flackernde Feuer tauchte den Raum in ein warmes, lebendiges
Licht, doch Eliza konnte es nicht richtig genießen. Eine Weile saßen sie beide
schweigend da und schauten den knisternden Flammen zu, beide tief versunken in
ihre Gedanken und dankbar, nicht reden zu müssen. Schließlich fragte Eliza
zaghaft: „Wieso hat sich deine Schwester das Leben genommen?“
Valerius Miene versteinerte
augenblicklich und er kräuselte leicht die Lippen, dann sagte er in kühlem Ton:
„Der Grund für diese Tragödie war eine unglückliche Liebe.“
Der Klang seiner Stimme machte deutlich,
dass er nicht gewillt war, weitere Auskünfte zu diesem Thema zu erteilen und
Eliza biss sich verlegen auf die Unterlippe. Wieder schwiegen beide bis Valeriu
in deutlich freundlicherem Ton vorschlug, ihr etwas vorzulesen. Er erhob sich
aus seinem Sessel und ging zu einem der Regale hinüber. Offenbar wusste er
genau, was er suchte, denn sein Griff nach einem abgegriffenen, alten, in Leder
gebundenem Buch war äußerst zielsicher. „Was hältst du von ein paar
Zigeunermärchen aus meiner rumänischen Heimat?“
Eliza strahlte: „Seit ich ein
kleines Kind war, hat mir niemand mehr Märchen vorgelesen. Das ist eine
wirklich zauberhafte Idee.“
Dann machte es sich Valeriu wieder
in dem Sessel ihr gegenüber bequem und begann zu lesen. Er war ein begnadeter
Märchenerzähler und er hatte die Gabe, mit seiner magischen Stimme Worte zu
Bildern zu formen. Er führte Eliza schon bei den ersten Sätzen in das Reich der
Fantasie und die archaische, südosteuropäische Heimat der Geschichte von der Blume
des Glücks nahm in Form der herben Schönheit endloser dunkler Wälder vor
ihrem geistigen Auge lebendige Gestalt an.
Es waren Märchen voller Zauberei, voller
Aberglauben, bevölkert von Hexen, Königen, Katzen und Vampiren. Lustige Fabeln
und poetisch-romantische Märchen, bei denen das Gute siegte, wechselten sich ab
mit tragischen und grausamen Erzählungen in denen der bäurische Aberglaube
seltsame Blüten trieb. An diesem Ort, in diesem Moment stand die Zeit still.
Die Bibliothek mit ihren alten Bücherschränken, das knisternde, wohlig wärmende
Feuer im Kamin, die altertümliche, schmucklose Sprache der Märchen, all das
schien schon immer so gewesen zu sein. Valeriu endete mit einer kurzen Parabel
über eine junge Frau, die einem schönen Fremden in ihrem Haus Obdach gewährte.
Doch der Reisende war der Tod, der alle tausend Jahre bei einer Geliebten von
seiner Arbeit ausruhte. Er warnte sie davor, ihn zu fragen, wer er sei. Doch
sie hatte sich bereits in ihn verliebt und erriet, dass sie den Tod beherbergt
hatte. Er hätte sie gern verschont, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig,
als sie mit in sein Reich zu nehmen. Zum Ende der Geschichte hatte Valerius
Stimme fast unmerklich einen unheilschwangeren Unterton angenommen und Eliza
fröstelte. Es war das wohlige Gruseln, das Kinder an Märchen schätzen.
Valeriu blickte von dem Buch auf und
lächelte sie an: „Du kannst ja kaum noch die Augen offen halten. Ich werde dich
jetzt wohl besser nach Hause bringen.“
Noch ehe Eliza protestieren konnte,
hatte Valeriu sie zärtlich und vollkommen mühelos hochgehoben und völlig
reflexartig schlang sie die Arme um seinen Hals. Ohne das geringste Anzeichen
von Anstrengung trug er sie hinaus zum Auto und Eliza genoss es in vollen
Zügen, an Valerius harter, muskulöser Brust zu liegen. Sie musste kichern: „Du
scheinst es aber auf einmal ziemlich eilig zu haben, mich loszuwerden.“
Dann reckte sie sich
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