Somnambul Eliza (German Edition)
Forschungsfeld. Er begann seinen Vortrag mit ein
paar auflockernden Anekdoten und gab zum Besten, dass Greenberg zeitlebens der Meinung gewesen war, Kunstwerke müssten sich dem Betrachter aus
sich heraus erschließen. Nur mit den Augen ließ sich unmittelbar entscheiden,
ob es sich um „gute“ oder „schlechte“ Kunst handelte, was Greenberg zu seinen berühmten Blitzbetrachtungen und Bildkritiken verleitete. Der
Kritikerpapst ließ sich Bilder nur für wenige Sekunden vorführen und entschied
dann mit Fingerzeig, ähnlich wie Caesar im Kolosseum ,
über Aufstieg und Fall von Künstlern. Dann kam Professor Nöhbauer zu seinem eigentlichen Thema, der Modernismus-Theorie bei Clement Greenberg .
„Die Selbstkritik des Modernismus fußt
auf den Kant’schen Lehren, auf der Kritik der
Aufklärung. Aber das Wesen des Modernismus ist es, Kritik aus sich selbst
heraus zu üben. Mit der Aufklärung hatten die Künste wie die Religion ihre
Legitimation verloren. Sie hatten nur noch den Wert der Unterhaltung und der
Therapie. Um diese Legitimation zurückzuerlangen, musste jedes künstlerische
Medium sich auf sein eigentliches Wesen, auf seine irreduzible Einzigartigkeit
besinnen. Es ging um die Kunst um der Kunst willen. Und die einzige Bedingung,
die nur der Malerei eigen ist, ist die Fläche. Um sich von der Skulptur und der
Fotografie abzugrenzen, wurde die Malerei abstrakt.“
Dazu zeigte Professor Nöhbauer Bilder von Manet und Cezanne und schließlich Werke
Jackson Pollocks, Greenbergs wichtigstem Protegé.
Obwohl sie das Vortragsthema wirklich
interessierte, konnte Eliza nicht mehr folgen. Allein die Projektion des
energiegeladenen Action Paintings , die wohl kaum die
immensen Ausmaße des Originalgemäldes repräsentierte, verursachte
Schwindelgefühle und Eliza wurde abwechselnd, in ziemlich kurzen Abständen,
heiß und kalt. Die Worte des Professors klangen gedämpft, wie durch Watte an
ihre Ohren, ihr Kopf drohte zu bersten und ihr war übel.
„Tut mir leid, ich muss gehen“,
flüsterte sie entschuldigend in Karins Richtung.
Karin schaute ihr prüfend ins
Gesicht, während sich Eliza schwankend erhob.
„Oh je, du siehst ja furchtbar aus. Ist
dir nicht gut? Soll ich mit dir rausgehen?“ fragte sie besorgt.
Doch Eliza schüttelte nur mit dem Kopf.
„Geht schon“, presste sie zwischen
zusammengebissenen Zähnen hervor. Wenn sie etwas nicht gebrauchen konnte, war
es die redselige Karin neben sich, während sie sich auf der Uni-Toilette vom
Leben kotzen würde und ihr Kopf ebendort in seine Einzelteile zerspringen
würde. Eliza schaffte es gerade noch zum Waschbecken im Vorraum der
Damentoiletten.
Anschließend ging es schon ein wenig
besser, doch die Kopfschmerzen hatten durch die Anstrengung des Erbrechens
nochmals zugenommen und sie fror entsetzlich. Eliza schaute in den Spiegel, der
über dem Waschbecken angebracht war. Die Spiegel in den Toiletten von
öffentlichen Gebäuden waren nie besonders schmeichelhaft, das lag zum einen an
der kalten Neonbeleuchtung, zum anderen an den weißen Fliesen. Aber den
Anblick, der sich Eliza bot, konnte sie nur zum Teil auf die cleane
Raumatmosphäre schieben. Sie sah aus wie eine Tote.
Ihr Gesicht war kreidebleich, die Lippen
bläulich verfärbt, Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, an der ihre Haare
festklebten. Eliza wandte sich ab. Zitternd wusch sie sich das Gesicht und
trocknete es mit dem groben, grauen Ökopapier aus dem Spender, dessen süßlicher
Altpapier-Geruch ihren Brechreiz schon wieder stimulierte. Eliza flüchtete nach
draußen. Sie hoffte, dass ihr die frische Nachtluft guttun würde und außerdem
wollte sie auf dem schnellsten Wege nach Hause. Es grauste ihr bei dem
Gedanken, mit der Übelkeit im Magen Straßenbahn und Bus fahren zu müssen, doch
auf ein Taxi warten oder eine halbe Stunde laufen konnte und wollte sie auch
nicht. Als sie an der Straßenbahnhaltestelle Ecke Lazarettgasse ankam, zitterte
sie wie Espenlaub. Panisch suchte sie nach dem nächsten Mülleimer, der gemeinerweise
am Mast einer Straßenlaterne befestigt war. Während sie sich übergab, stand sie
also so zu sagen im Spotlight und hatte dabei auch noch zwei Zuschauer, die
ebenfalls auf die Bahn warteten und ihr angewidert und dreist zusahen. Obwohl
sie schon wieder ins Wanken kam, widerstand Eliza dem Drang, den schmutzigen
Mülleimer zu umarmen.
Doch plötzlich hatte sie Halt und sie
fuhr zusammen, als ihr aufging, dass jemand von hinten ihre
Weitere Kostenlose Bücher