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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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etwas zurechtrückte. Er sagte, die Bevölkerung sei überfordert. Das, was die Leute hier bei uns sich nicht zu sagen trauen, sprechen die Ossis offen aus: Es werde noch mehr passieren. In Hoyerswerda gibt es ganze 14 Polizisten!
     
    «Warum sind Sie gegen Asylanten?»
    «Kein Job, keine Wohnung.»
    «Dett is Viehzeug!»
    «Die sind nachts zu laut, feiern auf der Straße Feste, wenn wir schlafen wollen.»
     
    Von Sternburg:«Hat der Rechtsstaat kapituliert?»
    So eine blöde Frage!
    Der betroffene CDU-Stadtrat, der 14 (?) Ressorts zu verwalten hat:«Wir sind ja noch nicht lange Rechtsstaat …»
    Die Stadt habe ihren Ruf für immer verspielt. Hatte sie überhaupt einen? Sozialistische Barden werden sie besungen haben, aber für Streichorchester hat niemand diese Lieder gesetzt. Auf Sorbisch heißt die Stadt WOJERECY. Goethe wird wohl niemals durchgefahren sein.
     
    Ein Schwarzer: Er fährt jetzt nach Hause und wird dort überall erzählen, wie die Deutschen die Ausländer behandeln.

Nartum Fr 27. September 1991
     
    Ich soll was über die Ehe schreiben. – Daß Hildegard mir das Bett aufschüttelt?
    Von meinen Großeltern hieß es:«Ja, als Großmutter K. noch lebte, die paßte auf, die ließ ihren Mann nicht verwahrlosen.»Sie lebte von 1904 bis 1927 mit dem gelähmten Mann zusammen. Fast 25 Jahre!
     
    In Rostock in der Petrikirche wurde mir bei meiner Einführung klar, als ich da so plaudernd meine Petri-Erinnerungen hindröhnte, daß ich die Stufe zum«Wissensträger»überschritten hatte. Die Erinnerungen, von denen ich meinte, wir hätten sie alle gemeinsam, waren plötzlich zu alten Briefmarken geworden, und ich war versucht, die dollsten Geschichten ihnen aufzutischen. (Das kann ich ja immer noch tun!)
     
    2007: Inzwischen hat man einen Aufzug installiert. Von oben kann man also runtergucken.
     
    Abends Lesung in Garbsen-Heitlingen.

Nartum So 29. September 1991
     
    I950: DDR wird Mitglied des Rates für Gegenseitige
Wirtschaftshilfe (RGW)
Jahrestag der Pionierorganisation der FDJ West-Berlin
    Ein Arzt:
    Die Wiedervereinigung zählt mit zu den schönsten Minuten meines Lebens. Ich hab’ vorm Apparat gesessen und geweint. Ich habe immer gedacht, daß ich in Mecklenburg mal spazierenfahre, ich hätte rüberkönnen, ohne weiteres, aber ich habe gesagt: Ich fahre da erst hin, wenn die Mauer weg ist. Drei Tage nach dem Fall der Mauer sind wir dann drüben gewesen.
    Eine Psychologin:
    Ich finde das gut. Aber 40 Jahre zu spät.
    Eine Schülerin, 17 Jahre:
    Ich war damals gerade in Amerika, und ich habe die Ereignisse mit weniger Interesse verfolgt als die Amerikanerinnen. – Im nachhinein mache ich mir wenig Gedanken, ich habe das noch nicht zu Ende gedacht.
    Eine Frau:
    Na ja, ist schon gut, daß es so gekommen ist, aber die stellen schon ganz schöne Ansprüche. Ein bißchen bescheidener könnten sie schon sein. Im großen und ganzen … Wir haben auch viel geholfen, Pakete geschickt usw. Zwei Familien haben wir ganz schön auf die Beine geholfen.
    Ein Mann:
    Mir, in meinem Alter! Daß mir das noch passierte, daß ich das erlebte, das ist etwas ganz Großes.
    Planung:
    1992«Echolot»fertig, Dorfroman beginnen und«Alkor»(als Ergänzung)
    1994 Dorfroman
    1996«Alkor»

Oktober 1991
     

Nartum Di 1. Oktober 1991, stürmisch, Regen
     
    Nationalfeiertag der Volksrepublik China
Weltmusiktag
    Markus Wolf im TV, ein russischer Film mit Wagner-Musik unterlegt. Er sprach russisch, alles wirkte sehr strange . Die Wiedervereinigung aus russischer Sicht. Erstmalig hat man in der SU auch Bilder vom Mauerbau gezeigt, weinende Frauen. Ob sie sich schuldig fühlen? Sie werden an Warschau denken. – Wolf wird gezeigt, wie er enttarnte Agenten umarmt. Eitel und dumm; eitel, daß er eine weiße Uniform anzieht und sich über Orden freut, dumm, wenn er sagt, daß er von Mielkes Abhörerei nie was gewußt hat. Die Pfiffe, die er geerntet hat, hätten sich bezogen auf Mielke, nicht auf ihn. Eigenartiger Mund, sonderbarer Gang, schnürend.
     
    In der ZEIT ein Bericht über die Atom-U-Boote und den Leichtsinn, mit dem die Sowjets mit dem strahlenden Material umgegangen sind und noch umgehen.
    Wie die Atomrüsterei rückgängig gemacht werden kann eines Tages, das ist wohl niemandem klar. Wir lebten Jahrzehnte neben diesen Dingern her, ohne uns Gedanken zu machen. Ja, die Sorgenträger kamen einem immer lächerlich vor.
     
    Ich korrigiere M/B, viele Zusätze. Hildegard amüsiert sich über das Buch. Vielleicht ist es

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