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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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könne?
    Ich fragte ihn nach der Wiedervereinigung, er fand sie toll, sei schon 2000 Kilometer mit dem Fahrrad durch die DDR gefahren. Von den Schwierigkeiten, Unterkunft zu kriegen, in Jugendhäusern, private Gewerkschaft. Man bekäme per Fahrrad mehr mit, als wenn man im Auto fährt. Aber was er mitbekommen hat, hat er nicht erzählt. Einmal um die Müritz herum sei er geradelt. Die Räder mit der schweren Gangschaltung, 15 Gänge, wenn die mal kaputtgingen! Er habe drei Gänge, und die könne man leicht einfahren, zur Not fahre man eben immer im ersten Gang (er meinte den Schnellgang, der ja der dritte ist).
     
    KF sagt, ihn stört an meiner bronzenen Sisyphos-Plastik, daß der Mann den Stein ja gar nicht hochschiebt. – Vielleicht projiziert er seine eigene, für ihn wohl unbefriedigende Situation in die kleine Bronze?
     
    Ich bitte um die Definition der Begriffe«Mob»und«Gesindel», die man ja jetzt oft hört. Sie fallen nicht unter die political correctness. Diese Leute sind vogelfrei. Hoyerswerda.
     
    Ochtrup
    18 Uhr
    Der Volkshochschulleiter, der mich in seinem Auto ruckartig fahrend abholte, fragte mich, wieso es eigentlich kommt, daß keine Romane mehr geschrieben werden. Danach fragte mich sein Begleiter, wo ich herstamme? -«Aus Mecklenburg.»-«Kennen Sie Rostock?»
    Demut habe ich mir auferlegt. Und tief durchatmen muß man, wenn man sich Demut auferlegt.
     
    Gestern ein Zauberer im TV, dessen Hauptgag war, daß seine Hose rutschte. Der einzige Gag, den sich Schriftsteller halten, ist: rauchen und blöde Reden halten.
     
    Herrn Zeidler bitten:
    Probeaufnahmen sehen.
     
    «Wer die Steineschmeißer ‹Mob› und ‹Gesindel› nennt, schmeißt selbst Steine.»So ist es.

Ochtrup Di 8. Oktober 1991
     
    Gut geschlafen. Schmilgun kam gestern zur Lesung, sehr angenehm. – Die Menschen saßen wie die Ölgötzen, aber nicht unfreundlich. Ich las Okt.’83 und Flughafen bis Danzig, einen Text, der mich beim Lesen sehr befriedigte. Das werde ich heute wiederholen.
     
    Hier beim Frühstück Werbefunk. Unerträglich. Da hilft nur Ohropax. Aber das hilft nicht.
    Schmilgun will in seiner Schallplattenfirma auch Pepping herausbringen.
     
    Ein leerstehendes Haus, durch dessen zerbrochenes Bodenfenster Tauben ein und aus gehen.
     
    Hildegard haßt Tischpapierkörbe.
     
    Im Zug nach Wedel.
    «In dieser Republik muß man sich wehren», sagt der VHS-Direktor von Ochtrup und führt als Beispiel an, daß er mal ein Knöllchen nicht bezahlt hat.
     
    Langes Gespräch mit Bittel, der von M/B nicht nur begeistert, sondern sogar hingerissen sei.
     
    VHS-Direktor benutzte das Wort«Kenne». Man müsse die nötige Kenne haben.
     
    11.03 ab Wedel
11.35 Duisburg
11.46 ab
12.12 an Dortmund
12.34 ab
     
    «Kleine Liebe zu Trompeten»
    Das könnte eine Variation über das Thema«Die Posaunen von Jericho»sein.
    Bunker – Trompeten
    Er soll über Bunker schreiben oder einen Film machen und interessiert sich aber nur für Trompeten.
    Unterfutter: Festungsbaukunst
    Blasinstrumente
    Invasion
    Ein Endbuch.

im Zug nach Lünen Mi 9. Oktober 1991
     
    Weltposttag
    Tendiere nun doch zur«Kleinen Liebe». Heute früh im Hotel, eine Serviererin gab das geprägte Bild ab für das eine der beiden Mädchen. Das andere, die«Schamlippe». Er könnte einen kleinen Film machen über die Atlantikbunker. So halb auf eigene Kosten.
    Schwarzer Anzug, schwarzes Hemd. Pludrig. Schweißfüße. (Es gibt Leute, die denken, man kriegt das nicht mit.)
    Auch der Besuch bei Speer wäre zu verwerten, als Vorgeschichte. Ein solcher Roman wäre in einem Jahr zu schreiben. Speer zeigte mir die Korrekturstriche Hitlers auf den Bunkerplänen. Einen blauen Zimmermannsbleistift hat er verwendet.
     
    «Trompeten»: Er hat sie mitgenommen (Dscheni von Jane) – Jane-i – auch Jane oder Jan, je nach Stimmung, um sie zu pimpern, aber verliert die Lust, umgeht das immer, weil ja auch die«Schamlippe»stört.
    Vom Typ her ein bißchen wie Beate Jensen.
    Zur Wiedervereinigung ein Studienrat/West:
    Ich bin neulich danach gefragt worden von einem Franzosen. Ich hab’ in meiner Antwort mehr den Gedanken der Pflicht in den Vordergrund gestellt. Das gehört sich einfach so, dem Ersuchen um Beitritt stattzugeben. Euphorie war nicht dabei, kein nationales Gefühl oder eine Hochstimmung. Daß die da weinten in ihrem Trabi, hat mich ergriffen. Aber sonst? Nein. – Wir waren einmal drüben, um den Kindern die Grenze zu zeigen, wir haben uns bis Magdeburg

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