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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Zum seriösen Schlager ist das jetzt schon geworden. Bei bestimmten Gelegenheiten kommt nur eine Partita von Bach in Frage.
     
    Die Berichterstatter wirkten heiter und ausgelassen. Sie erzählten von der Offensive, was sie gar nicht wußten – daß alles gut geht, sagten sie. Siege heben , auch wenn man gar nicht beteiligt ist. Endlich ist mal was los...!
    Auf einmal heißt es, S. H. hat seine Eiserne Legion längst zurückgezogen, sie liegt jetzt bei Basra im südlichen Irak. Wieso hat das keiner bemerkt? 150 000 Mann? Die lassen sich doch nicht über Nacht verschieben? – Und die Kesselschlacht, die die US-Army veranstalten wollte, wäre damit verloren, von Sieg kann keine Rede sein.
    Die feuernden Großschlachtschiffe. Ich kann nicht anders, ich muß das als grandios bezeichnen. (Zu denken, daß die«Bismarck»noch im Einsatz wäre?) Nachdem die Rohre ihre 100 kg losgeschickt haben, senken sie sich. Das Schießpulver ist in seidene Säcke verpackt.
    Die großen Schiffe, mit den Decksaufbauten, Türmchen also und Kuppeln jeder Größe, dienen alle dem einen Ziel: die Geschosse loszuschicken, die ja aber in ihrer Brisanz einer Fliegerbombe«nicht das Wasser reichen können».
    In Moskau haben Zehntausende vor der amerikanischen Botschaft demonstriert, nicht contra wie in Berlin. Und der Rote Platz (wenn ich richtig gesehen habe) war schwarz von Menschen, die gegen Gorbatschow, pro Jelzin sich versammelt hatten.
    Warum muß man eigentlich Gefangene fesseln, wenn drei Mann mit Maschinenpistole um sie herumstehen?
    Viele Iraker haben ihre Bunker in Brand gesetzt, um zu zeigen, daß sie kapitulieren wollen. Das«Hands up!»muß auch ziemlich anstrengend sein.
    Die antideutschen Stimmen sind nicht mehr so laut zu hören. Das hat sich beruhigt. Allmählich hat sich herumgesprochen, daß auch die anderen …
    Ein deutscher Spürpanzer habe Senfgas erschnuppert.
    Der Gleichmut, mit der die B52 ihre Bomben herabsenken. Wie ein umgekehrtes Feuerwerk.
    Grandios infernalisches Bild, die Rauchfahnen der in Brand gesetzten Ölquellen. Was für eine Idee.
     
    Auf dem Flohmarkt heute ein DDR-Mann, alt, der sich einen WK-II-Offiziersdolch ansah, einen sogenannten«Brieföffner».«Wir haben damals, nach dem Krieg, als die Russen kamen, nämlich alles weggeschmissen», sagte seine Frau. Das vergißt man leicht: Sie haben dieselbe Vergangenheit wie wir, die da drüben.
    Wahrscheinlich will er sich das Dings in seiner Gummibaum-Wohnung über die Sitzecke hängen.
     
    Die evangelische DDR-Kirche ist nun doch bereit, sich mit der EKD zu vereinigen. Sie wollen mal nicht so sein... Es sei alles zu schnell gegangen, jammern sie.
    Gott sei Dank, daß ich mit der Amtskirche nichts mehr zu tun habe. Zwei der Pastoren, mit denen ich voriges Jahr sprach, sollen mit der Stasi zusammengearbeitet haben. Pastoren! Ob die katholischen Priester auch?
    Die Queen hat ihren Soldaten gedankt. Damit sollte sie lieber noch etwas warten. Die«Mutter aller Schlachten»ist noch nicht geschlagen.
     
    Gespräch mit Hildegard über das Haus in Rostock, das wir nun ja wohl tatsächlich wieder zugesprochen bekommen. Ich hätte das Geld, es wieder aufzubauen, aber wie soll man das gegenseitig verrechnen? Und was sollen wir damit? – Von der Bodenmansarde aus hat man einen Blick direkt auf die Marienkirche. Robert macht unten eine Kneipe auf, und ich gucke mir abends die Marienkirche an. Das wird ein Leben!
     
    «Garbatschow»sagen die Nachrichtensprecher neuerdings. Wer
    «Gorbatschow»sagt, ist irgendwie von gestern. Von«Chrutschschow»gab’s auch mehrere Versionen. Aber er blieb sich gleich.

Nartum Mo 25. Februar 1991, Nebel
     
    Ich durfte heute fürs TV ein Statement abgeben, was ich vom Golfkrieg halte, wollten sie wissen. Zu meinem Erstaunen war Wallraff derselben Meinung wie ich, desgleichen Kunert. Grass stotterte ziemlich herum. Ob das irgendwo registriert wird?«Sie haben damals gesagt …»Daß ich in der Staatskartei falsch abgelegt wurde, ist offenbar.
     
    Brief von Peters, der«seine»Stelle im«Sirius»gefunden hat und doch wohl etwas pikiert ist. Der Brief ist ziemlich wirr.
    Ich arbeitete heute früh an den«Hörzu»-Texten, danach am«Echolot», was im Augenblick etwas schwierig ist, da ich mich mit Willi Graf beschäftige und dabei immer die Fußnoten mit einbauen muß.
    Am Mittag machte ich Fotos fürs«Echolot», und nach dem Schlaf arbeitete ich am M/B, Kapitel 6, das nun sehr proper aussieht. Morgen muß ich noch einmal ran, und

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