Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
packen, lief der Fernseher, und ich seh’ auf einmal, daß die da auf der Mauer standen, und ich lauf’ in die Küche und hab’ gerufen: Kommt her! Kommt her! Die Mauer ist weg! Meine Schwester war völlig starr, und meine Freunde haben geweint. – Weil ich vorher sehr oft drüben war, hat mich das sehr bewegt. Wenn wir es nicht geplant gehabt hätten, dann wären wir nach Berlin geflogen statt nach Tel Aviv. Und die Leute dann da: O Gott! Und ich hab’ versucht, das zu dämpfen: So gefährlich sind wir wirklich nicht mehr.
Nartum Mo 18. Februar 1991, Schnee liegt noch
Die Medienwelt liegt mit gespitzten Ohren auf der Lauer, wann’s denn nun (endlich!) losgeht mit dem Invasionsspektakel, der französische Dingsbums hat gesagt: Schon morgen, der amerikanische XY: Nein, das kann noch dauern.
Die Krankenhäuser Mitteleuropas halten an Betten frei, was freizumachen geht, und die Filme und Disketten der Journalisten sind schon eingelegt, umgedrehten Flinten gleich.
Das Wehgeschrei der Friedensfreunde hat etwas nachgelassen, auch ihnen ist vermutlich klar, daß ein lebendiger S. H. bei nächster Gelegenheit biologische Pillen auch in deutsche Talsperren werfen wird, um die Weltherrschaft der moslemischen Händeredner voranzutreiben und zu installieren. Auf seinen natürlichen Tod können wir nicht warten, und die Oldenburger Skurrilen können sich und ihre Kinder nicht ausschließen von der Infektion mit Cholera oder Gelbsucht.«Wenn wir alle erst mal Frieden machen, dann wird sich S. H. dem anschließen müssen», sagen sie (Dierks). Der Iran-Krieg ist vergessen. Der dauerte sieben Jahre, und Hunderttausende sind gefallen. Inzwischen streiken deutsche Krankenschwestern: Sie wollen im X-Fall keine Verwundeten versorgen, und Altglasbehälter werden weggeräumt, sie könnten zu städtischen Superbomben werden.
In den Frankfurter Flughafen kann man, das ist jetzt herausgekommen, ohne kontrolliert zu werden hineinspazieren, durch den Frachtzugang.
In der«Transatlantik»hat man eine Liste von«Kriegstreibern»veröffentlicht, da stehe ich oben an (neben Biermann und Helmut Zacharias), obwohl ich mich nirgends geäußert habe.
Wie gierig Hauser nach den«Hundstagen»griff.
Gestern Räumaktion: die zahllosen Disketten von Schrott befreit. Herrgott, was sich da wieder angesammelt hat! Etliche dieser Dinger melden aus heiterem Himmel, daß sie defekt sind. Auch ein bißchen fürs«Echolot»getan. Auch da war mit den Disketten einiges wrong . Man darf sie nicht so vollknallen. Der Feldpostbrief eines deutschen Offiziers aus Rußland: Was seine liebe kleine Frau für Geschichtsstudien treiben soll während seiner Abwesenheit, schreibt er ihr aus dem Graben. – Dubletten unter den Einsendern gibt es eigentlich nicht, jedes Zeugnis ist anders.
Die Polen, die ich händeringend angefleht hatte, mir Material zu schicken, schon vor Jahren, lassen nichts von sich hören. Unzuverlässige Kantonisten! Versprechen alles und halten nichts, selbst wenn ich ihnen Geld dafür biete.
In der FAZ: Die Deutschen guckten auf die Stiefelspitzen, heißt es da.
Vielleicht ist unsere Haltung ein wenig zu vergleichen mit der der tapferen Franzosen 1939/40? Erbitterte Karte eines Mannes aus Schmalkalden, der eine Videokassette mit Aufnahmen von seiner Tochter haben will, die im Juli hier bei uns war (Jugendseminar): Er will es der Presse übergeben, wenn ich ihm die Kassette nicht schicke:«Oder herrscht denn bei Ihnen ein solches Tohuwabohu?»
Abends: In der ZEIT, die stramm gegen die Maßnahmen der Alliierten ist (o Gott, und wie emphatisch!), werden Listen veröffentlicht, mit Namen von Kriegsbefürwortern! – Wir könnten auch Listen veröffentlichen, und zwar anderer Art!
Es sieht so aus, als ob die Russen als Psychiater fungieren, die Iraker scheinen einem 4-Punkte-Plan zuzustimmen, der dann alles noch schlimmer macht, weil S. H. in vier Jahren wieder von vorn anfängt.
Morgens an M/B, 5. Kapitel.
Nachmittags am«Echolot», eine schlimme Stalingradsache (Tjaden), die ich in Oldenburg besorgte. Ich rief den Bruder des Stalingrad-Soldaten an, nein, sie haben nie wieder etwas von ihm gehört.
Am Nachmittag kamen vier Rostocker Kinder für eine Woche und Angela M.
Nartum Di 19. Februar 1991, noch Schnee
«Laufe! Laufe, Butsch! Nu’ spielt mal schön, bis wir fertig sind mit dem Essen!»
Dies ist an die Hunde gerichtet, Gott sei Dank nicht an mich.
«Not lehrt beten», sagt man. Seit ich kapiert habe, daß ich
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