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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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dann kommt die Ostsee an die Reihe. Danach Danzig.
    Wie bei der Vergrößerung einer Stecknadelspitze Scharten und Risse sichtbar werden, so öffnet sich der Text bei längerer Beschäftigung. An sich banal, so etwas hier aufzuschreiben. Es wäre banal, wenn ich diese Beobachtung nicht immer dann machte, wenn ich überhaupt einen Tiefgang für ausgeschlossen halte. Wenn ich glaube, daß schon alles«ausgedacht»ist. – Heute über Masuren etwas gelesen, und ich wunderte mich, daß im Lexikon so wenig darüber steht.
    Lexika sind gleichgeschaltet. Unter«Osnabrück»wird man nicht lesen: dann und dann durch alliierte Bomber zerstört …, und unter«Bautzen»nichts von der Existenz des«Gelben Elends». In sogenannten Kulturfilmen über Schlösser und Kirchen wird niemals die Mühe des Wiederaufbaus erwähnt. Warum eigentlich nicht? So was interessiert einen doch. Auch der Name des britischen Offiziers, der die Trümmer der Kölner Dombrücke sprengen ließ und dabei – obwohl’s auch anders gegangen wäre – der sowieso schon arg beschädigten Kirche schwere Schäden beibrachte.
     
    Am Nachmittag brachten die Fernsehtechniker die Satellitenschale an, ein futuristisch anmutendes Gerät. Folglich saß ich bis jetzt (23 Uhr) vor der Glotze und war mitten in der Welt:
     
    Eine Schnulze mit Juhnke aus den 50ern, mit Schafheitlin und dem ganz jungen Karl Lieffen. Eine Klamotte:«Ich weiß nicht, wieso ich mir hier so wohl fühle», sagt eine Tusse oben auf dem Berg sitzend, unter sich einen See und Alpenpanorama.
    Ein Film über den Reagan-Attentäter. Der glaubte, Reagan habe Nasenkrebs und daß er ihn deshalb habe erlösen wollen.
    Ein japanischer Film über Todesstrahlen aus dem Weltall, die aber nicht zu sehen waren.
    Ein Western, in dem ein alter Cowboy auf lustige Weise einem kleinen Jungen zu seinem Erbe verhilft.
    Eine Talk-Show, in der der«Stern»-Titelbildmacher gefragt wurde, warum so viele nackte Frauen? – Er sei ganz naiv, hat er gesagt. Naiv sei er da rangegangen.
    Noch ein Juhnke-Film, neueren Datums, ohne Schmiß.
    Ein Film über DDR-Pendler, die jeden Tag von Gera nach Fürth zur Arbeit fahren,«wie im Frühkapitalismus», sagte der Moderator.
    Ein Film über einen gewalttätigen Brauereibesitzer, der alle Kneipen in der Gegend kaputtmacht. Desirée Nosbusch in einer Nebenrolle, mit Riesenbrille auf der Nase. Fade, nicht einmal hübsch. Ein Film ohne Schluß, bleibt offen, die Sache. Adorf sehr gut, wie immer.
    Ein alter«Tatort»-Film, über den ich ein paarmal nur huschte.
    Zwei Boxkämpfe. Ein«Federgewicht», unglaubliche Kopfhauerei. Die Fighter wankten schließlich nur noch. Der Sympathischere gewann. – Dann«Halbschwer», wie mit Hämmern schlugen sie aufeinander ein.
    Dann noch ein Boxkampf. Zwei Mexikaner. Einer in einer viel zu großen weißen Hose und roten Schnürschuhen. Er machte so eigenartige Bewegungen. Ich dachte zuerst, es wäre ein Spaßkampf, irgendwie grotesk.
     
    Wann geschieht es, und wie passiert es, daß man seine Sympathie einem der beiden Kontrahenten zukommen läßt? Auch beim Fußball zu beobachten, wenn man nicht zum Beispiel gerade HSV-Fan ist. Die Sympathie wendet sich, aus unerklärlichen Gründen, plötzlich einer Mannschaft zu.
     
    Die Alliierten wundern sich, daß sie so schnell vorwärtskommen. Ein Panzergeneral a. D. meinte, die Iraker seien ohne Luftwaffe einarmig und ohne Aufklärung zusätzlich blind. Ein anderer meinte, S. H. strebe das Märtyrertum an, um in den Himmel zu kommen.
    Angenehme Bilder von Vorwärtsstürmenden, sanft sich wiegenden Panzern im Wüstensand. Erinnerungen an«Tiger»vor Kursk. – Ein irakischer Gefangener küßt seine Gegner. Einer Gruppe Gefangener werfen Soldaten Eßbeutel zu (was in einer Talk-Show moniert wird, das seien doch keine Hunde), es sind Ägypter, die das tun. – In der Ferne eine Kolonne Gefangener. 20 000 sollen es sein.
    Die Rauchfahnen der brennenden Ölquellen, vom Wind alle in dieselbe Richtung gebogen.
    Eine aufgeregte Reporterin vor einem zerstörten Haus, in dem zehn Amerikaner von einer Scud-Rakete getötet worden sind. Herumlaufende amerikanische Soldaten wehklagen.
    Und in Chicago sitzen Mütter und weinen.
     
    In Birmingham werden sechs Häftlinge entlassen, die offenbar sehr gefährlich sind.
    Eine Bombendrohung legt in London Verkehr lahm.
     
    Ein Film über Kinder, die Rock- und Schlagerstars nachmachen. Sehr schlecht gefilmt, man kann die Kleinen gar nicht richtig sehen. Wie sie die wohl

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