Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Frau Ditfurth nicht mehr sehen müssen.
Am Abend kamen hier die Rostocker an, ihre Kinder abzuholen, meine nervösen Stimmungstentakel vibrierten! Sie hatten einen Riesenhund mitgebracht, zu unseren drei Gerechten, und ihre beiden«Plagen».
Was mich in dieser Zeit sehr gestört hat, ist das Gelärme und Gebarme der Kinder:«Onkel Walter, dürfen wir mit der Kugelbahn spielen? Gibst du uns ein Bonbon?»
Nartum Fr 22. Februar 1991
I840: August Bebel geboren
Saddam H. hat den sowjetischen Plan angenommen. Da hätten die Amerikaner also nun den Schwarzen Peter in der Hand.
«Wir wollten die Einheit ja gar nicht...», sagen die Eltern, die ihre Kinder jetzt abholen wollten, aber noch bleiben.
«Unsere liebe kleine DDR …»
Der Kamin zieht sie magisch an. Die Frau denkt, sie ist eine Künstlerin, hat eine Mappe mit pseudoabstrakten Bildern unterm Arm, die sie in Bremen in Galerien vorlegen will. – Ich riet ihr, lieber Bilder von Rostock zu malen, da wäre ich ihr erster Kunde.
Ich tippte morgens«Echolot»-Texte; nach langem Mittagsschlaf schrieb ich dann am 6. Kapitel von M/B: Joe bereitet sich auf die Reise nach Danzig vor und besucht Chopin-Abend. Außerdem skizzierte ich die Rede für die Medientage. Schostakowitsch, Streichquartett Nr. 4.
Der Politiker Rainer Ortleb möchte am liebsten Pfarrer sein. Sein Lieblingsvogel ist der Wellensittich. (FAZ-Fragebogen)
Nartum Sa 23. Februar 1991
I9I8: Gründung der Roten Armee – Tag der Sowjetarmee
T: Ich veranstalte eine Party in meiner Wohnung. Auch die Mädchen von dem Pädagogischen Seminar dürfen kommen. Anstatt sich unter die Gäste zu mischen, bilden sie einen Schweigekreis, womit sie das fröhliche Gewimmel blockieren. Ich zeige meinen Ärger nicht, sondern frage sie:«Kann jemand zaubern von euch?»- Da löst sich die Sache auf, und eine zieht Tücher aus dem Ärmel.
Später zaubere ich selbst, in der zerstörten Marienkirche. Irgendwie funktioniert die Sache aber nicht.
Gestern mittag
Hildegard zu Sascha:«Wo willst du hin?»
Sascha:«Vati Walti wecken.»
Hildegard:«Sag mal, spinnst du?»
Die Rostocker kamen gestern zum Abendbrot (Fondue). Sie erzählten von ihren Bemühungen, bei der Firma«Licht an!» einen Vertretervertrag zu kriegen. Die Firma stellt Leuchtreklamen her. – Man habe ihnen dort Kaffee angeboten. 5000 Mark müßten sie für das Alleinverkaufsrecht zahlen. Hundekollisionen zwischen unserer Meute und dem Collie der Rostocker. Ein bildschönes, sandfarbenes, etwas ängstliches Tier.
Robert angerufen. Ich sage:«Da kommen noch ganz schöne Kosten auf uns zu.»(Wegen des Hauses in Rostock, das uns Mitte März in einem offiziellen Akt wieder zugesprochen werden soll.)
Robert:«Ja, ich hab’ schon ein Konto eröffnet in Rostock, bei der Deutschen Bank, 1000 Mark hab’ ich schon drauf, das werde ich nach und nach anfetten.»
Am Abend kam Pastor Stier mit zwei entsetzlichen Ehepaaren zum Essen. Und ich mußte vorher noch zum Zahnarzt rasen, weil mir die provisorische Kappe auf dem Backenzahn abgegangen war.
Immerhin noch am 6. Kapitel gearbeitet: die Chopin-Sache. Und Geschwister-Scholl-Texte für«Echolot»eingegeben.
Nartum So 24. Februar 1991, schön, Sonne
T (heute mittag): Zwei große schwarze Vögel, so ähnlich wie der Preußenadler, im dunkelblauen Himmel, kämpfen? Der eine hat einen silbernen Strick wie ein Cape um die Schultern. Das Ganze hat etwas Symbolisches.
Ich war heute früh in Bremen, auf dem Antikmarkt. Ich kaufte dort ein leeres altes Fotoalbum (100,-) für Pappbilder und ein kleines von 1956, 30 Mark, sowie ein Gedenkgeschenk für entlassene DDR-Grenzer, eine Jubeltischdecke.
Ich sah einen Stahlhelm für Fallschirmjäger aus dem WK II für 1300,-!
Auf der Fahrt hörte ich in den Nachrichten von der finalen Offensive der Alliierten. Die Iraker haben die Ölquellen angezündet. Die ganze Sache ist recht widerlich. Ganz gut, daß man keine ins einzelne gehenden Nachrichten zu hören kriegt. Manches liefert uns CNN. An der Entscheidung, jetzt anzugreifen, läßt sich der Unterschied zwischen Klugheit und Weisheit leicht erklären.
Isaac Stern spielte gerade ein Violinkonzert in Tel Aviv, als es Alarm gab. Das Publikum setzte Gasmasken auf, und die Musiker verschwanden hinter der Bühne. Nur Stern nicht, er spielte – zwar kein Adagio von Mozart, wie die Ansagerin behauptete, aber eine Partita von Bach. Bißchen kitschig, aber verständlich, daß er’s tat.
Weitere Kostenlose Bücher