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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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getriezt haben, die«Eiskunstlaufmütter».
     
    Steuererhöhungen, dargestellt an einer grafischen Skala auf der Abbildung von Tausendmarkscheinen.
     
    Schießende Frauen, eine Sportsache.
    Emanzen melden sich im Off nicht zu Wort. – Die herausschnellenden Patronenhülsen aus den Sportgewehren. Ob sie die hinterher wieder aufsammeln? Allerhand Hilfsmittel, vorm Auge und über der Nase. Bei den Bogenschützen ist das noch extremer. Die haben auch besondere Brillen. Wenn sie ihre Patronen abgeschossen haben, dann packen sie zusammen und laufen dem Ziel entgegen. Die erste kriegt einen Kelch aus Blech. Nie wird sie damit an König Artus’ Tafel sitzen. Und der Altmaterialhändler kann nichts damit anfangen.
     
    Und etliches.
    Wie soll man das«auf die Reihe kriegen»? Der Techniker sagte, in der nächsten Woche werde noch ein weiterer Satellit ins All geschossen, dann kämen noch 16 Programme zu den jetzt zu empfangenden 15 dazu. Japp!
    Im übrigen hatte ich den ganzen Tag eine Art Zuckerschock. Die Nachricht des Tages: Der Warschauer Pakt wird am 1. April aufgelöst. Unbegreiflich, daß man das so nebenbei erfährt. Der ordenbeklebte russische General Jasow unterzeichnete die Sache. Die Russen lehnen eine Veröffentlichung der Geheimdokumente ab. Nun sind sie ohne Luftwarnungsnetz.
    Das von Humorlosigkeit entstellte Gesicht Winfried Scharlaus, als er mit dem Panzergeneral sprach.
     
    2007 : Inzwischen ist er gestorben. Jahrzehntelang hat man ihn immer von vorn gesehen, nie von der Seite, und immer die gleiche Diktion und immer das gleiche Grinsen. Aber interessant war’s.

Nartum Di 26. Februar 1991
     
    I869: Nadeshda Krupskaja geboren, Lebens- und Kampfgefährtin Lenins
    Das Dynamische des Kriegsendes.
    Die Kriegs-Schwungräder drehen sich noch eine Weile weiter, von der eigenen Geschwindigkeit angetrieben.

Nartum Mi 27. Februar 1991, kalt/klar
     
    1939: Nadeshda Krupskaja gestorben
    Beim Zahnarzt, er setzte mir eine neue Krone ein. Er war gut gelaunt, weil er eben einem jungen Mann den bloßliegenden Kiefer nach einer Extraktion zugenäht hatte, wie er mir erzählte. Die Nadel sei neuerdings mit dem Faden verschweißt, jubelte er, eine Neuerung, von der sie, als junge Zahnärzte, damals nicht einmal zu träumen gewagt hätten.
     
    2000 irakische Panzer vernichtet, wird gesagt, von den Menschen, die in den Panzern verbrannten, reden sie nicht.
    79 Amerikaner sind gefallen, das sei sagenhaft wenig.
    Die Bilder der irakischen Kriegsgefangenen. Sonst wenig Konkretes. Saddam versucht alles Mögliche, seine Garden und damit sich zu retten.
    Der bullige General Schwarzkopf macht Witze. Seine Strategie sei so brillant wie der Sichelschnitt, wird gesagt. Sie sind irgendwie untenrum gekommen. Mit Täuschungen und allem Drum und Dran.
    Bleibt auch zu bestaunen, daß Russen und Chinesen stillgehalten haben. Die haben sich das in Ruhe angeguckt.
    Kommen nun noch die interessanten Berichte der amerikanischen Kriegsgefangenen?
     
    «Echolot»: Gestern habe ich damit angefangen, von der schulmeisterlichen Aneinanderreihung wegzukommen und statt dessen die Texte vorsichtig auseinanderzunehmen und neu zu collagieren (hörspielartig). Es wird Tage geben mit nur einem einzigen Text und andere, die besonders lang sind. Auch Zwischentexte möglich, zwischen den Tagen. Die Fotos müssen der Collage entsprechen.
     
    Film von Scholl-Latour über die moslemischen Völkerschaften in der SU. Wie alles, was er macht, sehr kundig und interessant.
    Im Grunde sind es nur wenige Menschen in der Welt, die Ahnung haben. Und das (die) nutzt man nicht.

Nartum Do 28. Februar 1991, windig
     
    Es heult und singt in meinem Zimmer, die Gardine vor dem geschlossenen Fenster bauscht sich.
    Am Golf«schweigen die Waffen».
    Vom Flugzeug aus Filme von den ausgebrannten Fahrzeugen der Iraker. Keine Menschen.
     
    Nachmittags in Hannover, Literatur-Kommission. Man könnte es sich auch einfach machen: die ganzen Einsendungen wegschmeißen. Aus. Es ist nichts dabei, und trotzdem werden Preise verteilt. – Ein Taxifahrer darunter, der mal was anderes machen möchte, als immer nur Taxifahren. 5000 Mark braucht er.

März 1991
     

Nartum Fr 1. März 1991, kalt
     
    Tag der Nationalen Volksarmee (NVA)
    Die Sowjets (oder soll ich«Russen»sagen?) fangen wieder an zu betrügen. Sie haben Tausende von Panzern, die eigentlich vernichtet werden müssen, hinter den Ural geschafft, das ist jetzt herausgekommen. – Allerdings ist es sonderbar, daß die

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