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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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mit Glück überhäuft werde, habe ich zunehmend das Bedürfnis, Dank abzustatten. Kein Aberglaube ist dabei. Glück sollte beten lehren.
     
    Heute Grass mit neuer Brille und 5-Tage-Bart. Schimpft auf Enzensbergers These von den gleichen Wurzeln, die Hitler und S. H. gemeinsam hätten. So etwas zu vergleichen sei verbrecherisch, sagt er. Die hatten früher wohl mal Streit miteinander?
     
    Campenhausen schrieb netten Brief wegen«Sirius», kann die Kritik in der FAZ nicht begreifen.
    5. Kapitel von M/B vertieft, es wimmelt von Ostpreußen in Hamburg.
    «Echolot»an Simone übergeben. Sie wird die Texte«reinigen»und«ordnen», ich mache dann die Collage. Tippe augenblicklich an Tjadens Wehklage über seinen Sohn.
     
    Rätselraten wegen der Friedensverhandlungen, -angebote, -versuche. Die Russen vermitteln. Bush argwöhnt zu Recht, S. H. wolle nur eine Atempause haben und die Invasion hinauszögern, bis endlich 40° Hitze auf die Panzer knallen.
    In 3sat eine Sendung über Krieg. Die Deutschen hätten die eigenen Greueltaten vergessen, verdrängt. Es werden Dörfer gezeigt, russische, mit Leichen Erschossener. – Verdrängt?

Nartum Mi 20. Februar 1991
     
    Schlapp, den ganzen Tag. Esse keinen Zucker mehr, habe trotzdem schockartige Zustände. Arzt sagt:«Diabetes haben Sie nicht.»
     
    An M/B weiter.
    6. Kapitel: Abschied von der Kultur. Chopin-Abend
    7. Kapitel: Ostsee. Kriegsgerät auf dem Grunde
    8. Kapitel: Danzig. Das herzkranke Mädchen
    9. Kapitel: Marienburg (= Rastenburg!)
    10. Kapitel: Rosenau, d. h. das Grab der Mutter. Kirche, Goldregen
    11. Kapitel: Treckwege, russische Grenze, polnische KZ
    12. Kapitel: Gutsimpressionen Lehndorff
    13. Kapitel: Rastenburg
    14. Kapitel: Nehrung, Vaters Grab
    15. Kapitel: Stutthof
    16. Kapitel: Danzig
    17. Kapitel: Hamburg, Frau weg
     
    Das Buch wird nicht mehr als 150 Seiten umfassen.
    TV: Lange Sendung über Litauen, tolle Aufnahmen, traurig, weil kein Staat der Welt außer Island den Mut hat, die baltischen Staaten anzuerkennen.
     
    Alle warten auf die Antwort S. H.s auf das amerikanische Angebot, und der zögert theaterwirksam. Vielleicht weiß er wirklich nicht, was er machen soll. Wir wissen es doch auch nicht.
    Immer noch sitzen seine Getreuen um den Tisch herum, in ihrer weltlichen Eucharistie. Fehlt nur der Becher, der in ihrer Runde kreist. Aber sie trinken ja keinen Alkohol.

Nartum Do 21. Februar 1991, Nebel/Sonne
     
    Vögel zwitschern.
    Heute früh raste ich zum Zahnarzt, der mich zur Begrüßung gutmütig mit seinem dicken Bauch stieß. Dann rieb er das Zahnfleisch mit dem Finger und stach Betäubungsspritzen hinein, bis ich fast gelähmt war. Die blonde Sprechstundenassistentin saß mir zur Seite, und ich berührte ihren Schenkel mit meinem Ellenbogen, was mich angenehm ablenkte.
    Sodann wurde gebohrt und geschliffen, und ich gab mich der süßen Ruhe hin, wurde ab und zu daraus geweckt, da der Arzt mir einen Spiegel in die Hand drückte, damit ich sein blutiges Werk begutachten könnte. Zum Schluß mußte ich in einen rosa, nach Pfefferminz schmeckenden Matsch beißen, der rasch erkaltete und quietschend mir wieder von den Zähnen entfernt wurde.
    Nächste Woche kriege ich eine Porzellankrone, leider keine Goldkrone, die ich bevorzugt hätte. An denen rutschen nämlich, wie Dr. Linde mir früher schon mal gesagt hat, die Bakterien ab, was,«bis zu einem gewissen Grade, allerdings auch am Porzellan der Fall ist». -«Sie kriegen schon noch mal eine Goldplombe», sagte er.
     
    Hier wartet alles auf die Botschaft S. H.s. Nun wird es wohl zum Landkampf kommen. Wir kriegten in den Medien schon Landkarten mit strategischen Pfeilen zu sehen. Ich würde mich freuen, wenn der Unruhestifter und Bösewicht zermalmt wird, leider müssen viele Menschen, statt seiner, zunächst sterben. Mit den Fingerknöcheln zerquetschen muß man diese Typen.
    35 alliierte Flugzeuge seien bisher abgeschossen, hat er behauptet.
    Heute in Bremen an einem Kino statt der Ankündigung des Films über dem Eingang in Großschrift:«Wir verabscheuen den Krieg.»Das ist ja ganz was Neues. 1981 hat da nichts gestanden.
    Den Ober-Grünen Ströbele hat es erwischt, er hat in Israel irgendwas Saudummes gesagt. In Deutschland ließ man seit Jahren seine Dummheiten als originell oder geistvoll oder eigensinnig durchgehen. Sieht an sich ganz sympathisch aus, mit seinen buschigen Augenbrauen. Aus Norddeutschland scheint er zu stammen, das spricht erst mal für ihn. – Herrlich, daß wir die

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