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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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ausbleiben.
    Der Nobelpreis-Engel entblättert sich. Gorbatschows Jasow hat die Panzer, die eigentlich verschrottet werden sollen, hinter den Ural geschafft.
    Jasow und Schwarzkopf, so unähnlich sie einander sind, sind zwei von ihrem Beruf gleichermaßen geprägte Männer.
    Jetzt wird überall erzählt und geschrieben, wie schlau Schwarzkopf die«Airäkis»getäuscht hat. Wie beim Indianerspiel. So tun, als ob man von links kommt, und dann von der andern Seite.

Borken Mo 4. März 1991
     
    Lesereise im Kölner Raum.
    60 Wildgänse Richtung Osten.
    Uwe Wesel, ein Jurist, schreibt in der ZEIT über seine Gastprofessur in Ost-Berlin. Eine Studentin habe ihn gefragt, ob sie eine halbe Stunde eher gehen könne. Erst da sei es ihm aufgefallen, daß hier ja nicht das fröhliche Kommen und Gehen wie an der Freien Universität herrsche, sondern Pünktlichkeit und Disziplin. Er habe mit den Studenten darüber gesprochen.«… und langsam wurde es besser», diesen deutschen Satz hat er sich nicht verkniffen.
    Sie werden’s schon hinkriegen!

Münster, Hotel Dorin Di 5. März 1991
     
    I87I: Rosa Luxemburg geboren
    «Westfälische Nachrichten»:«Wachablösung im Damentennis».
     
    Gestern war ich in Borken, zu einer Lesung. Ich dachte, ich sei schon einmal dagewesen, aber aus dem Publikum konnte sich niemand an mich erinnern. Ich las in der Bibliothek, etwa 100 Hörer, meist Damen, aber auch Herren mit Brille. Zehn«Sirius»verkauft und etliches andere.
     
    Im Bericht von Dagmar Pfeiffer über Hohenschönhausen (RTL) kein Wort über das NWD-Gefängnis.
    Zwei Jünglinge schrieben mir (aus Münster), sie haben ein Sach- und Personenregister für«Sirius»angefertigt. Ich werde sie heute abend hier im Hotel treffen.
     
    TV: Die Möglichkeit, 16 Programme empfangen zu können, bringt dem Fernsehzuschauer seine Kreativität zurück. Er kann sich eine Collage der Wirklichkeit zusammenstellen, die nur von ihm gemacht wird, also ein Original. Allerdings verschwindet es sofort, es wird nicht festgehalten. Es ist also nichts zu beweisen.

Münster Mi 6. März 1991
     
    I937: Valentina W. Tereschkowa, erste Kosmonautin der Welt, in Maslennikowo geboren
    Langer Traum über das Zurückfluten der deutschen Armeen. Ein Bessarabiendeutscher sagt, er sei innen ganz kaputt, weil er immer gezwungen worden sei, so hochprozentigen Alkohol zu trinken. – Ein Schienenlastwagen, dessen Anhänger umfällt und hinterhergeschleift wird – sich dann sonderbarerweise wieder aufrichtet. – Im Lazarett suchen die Russen nach Soldaten, die sie mitnehmen können. Fotos von einzelnen Situationen. Ein Bus (auf Ketten), in dem Frauen sitzen, Nachrichtenhelferinnen, von Männern zum Schutz flankiert. – Ein großer Lastwagen, kastenartig, als ob er Eis transportiert, oben ein Soldat mit MG zum Fliegerschutz. Ich denke: Der schiebt ja eine ganz ruhige Kugel.
     
    Lesung in Stadtlohn.

Münster Do 7. März 1991
     
    I946: Gründung der FDJ
Weltgesundheitstag
    Ich denke an die beschwichtigende Geste Willy Brandts, als der Bundeskanzler November’89 in Berlin von den Chaoten ausgepfiffen wurde.
    Nun, nachdem der Golfkrieg beendet ist, lehnt sich alle Welt zurück wie nach einer Ejakulation. Daß sich der Rauch der Schlacht verzogen hätte, kann man ja nicht gerade sagen. Was für eine Idee, sämtliche Ölquellen in Brand zu setzen.
    In den Zeitungen steht, daß sich die US-Soldaten darüber freuen, daß sie in der Heimat mit Marschmusik empfangen werden und nicht mit Pfiffen, wie nach Vietnam.
     
    TV: Der britische Premier Major, mit seiner überlangen Oberlippe: Er besucht die Truppen, springt alert aus dem Hubschrauber. Er trägt einen wundervollen Pullover in Beige, dazu eine passende Hose. Es wäre ein anderer Krieg gewesen und ein anderer Sieg, wenn Maggie Thatcher aus dem Hubschrauber gesprungen wäre, mit Handtasche.
     
    «Ich will nicht sterben!»steht hier in Münster an einer Hauswand. Davon ist ja auch gar nicht die Rede! Kein Gedanke! Jedenfalls nicht auf der Stelle.
    Saurer Kitsch müßte unter Strafe gestellt werden.
    Mit singendem Spiel würden die Soldaten diesmal empfangen, stand in der FAZ. Der Autor meint vermutlich«mit klingendem Spiel». An solchen Kleinigkeiten wird klar, daß wir ein Überwissen haben, und es ist offensichtlich, daß wir bald abdanken, denn eine junge Generation hat den Fall übernommen. Über Hühner-KZ schimpfen sie. Kuhställe sind auch nicht viel besser.

Münster Fr 8. März 1991
     
    I947: Gründung des

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