Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Kommentator. Um wieviel anregender als das stumpfsinnige Skilaufen. Ein-, zweimal, nun gut, aber da hinfahren und 14 Tage lang immer denselben Berg runterfahren? – Rosi Mittermaier. Oder dieser komische Onkel, der dann später Kinoschauspieler wurde, Toni Sailer, und zu singen anfing. Er hatte eine interessante Nase. Mädchen mögen gern Männer mit interessanten Nasen.
Ein älterer Herr aus Mecklenburg zur Wiedervereinigung:
Am Tage seh’ ich es, aber bei Nacht kann ich es nicht glauben.
Nartum «Samstag»9. März 1991
1934: Juri Gagarin, erster Kosmonaut der Welt, geboren
Wegen«Sonnabend»und«tschüs»hassen uns die Süddeutschen. Gegen«gell»habe ich nichts. Von Haß kann keine Rede sein. Bei«lecker»scheiden sich die Geister.
Die westfälische Woche beendet, die Erinnerung daran verblaßt rasch.
Albanien: Verrostete Schiffe, vollgepackt mit menschlichen Pökelheringen, 16 000 sind in Italien an Land gegangen, keine Klos, Regen usw. Müßte man später mal befragen, die Leute, wie sie es angestellt haben, am Leben zu bleiben. Jugoslawien: 100 000 Gegner des Kommunismus auf der Straße, Prügeleien.
Das sind aufgeregte Zeiten. Nach den Vereinigungsmonaten, die wie ein utopischer Film abliefen, die Golf-Säbelei, und nun tastet der Weltgeist in die Runde, wo er weiter tätig werden kann. Schöner Brief von Raddatz.
«Echolot»: 2. Januar 1943 bearbeitet. Da überwiegt das Schöngeistige, Hausenstein ist da unentbehrlich.
FAZ: Manfred Stolpes Lieblingsbeschäftigung sei Skatspielen, hat er angegeben.
Nartum So 10. März 1991
Nachmittags deprimierendes Grundgefühl, eine Art Lebensekel (wegen der dauernden Störungen).
Dann entdeckt, daß man die Lesetour der nächsten Woche ziemlich irrsinnig zusammengestellt hat. Nun, wir werden auch das überstehen.
Neulich in Vreden: eine Stadt, in der es keine Gehsteige gibt, alle«Verkehrsteilnehmer»seien gleichberechtigt, deshalb keine Bürgersteige oder«Trottoirs», wie man früher sagte. Das ist vielleicht ein Horror! Schleichen die Autos sich tuckernd von hinten an. Und wenn die dann hupen! Da ist Buster Keaton nicht weit weg. Aber hupen dürfen sie wohl nicht, sonst müßte man in dieser gleichberechtigten Stadt den Fußgängern Ballonhupen zuteilen, wie die Clowns sie hatten. Gott im Himmel, was für ein Lärm. Aber gegen das Schönheitsbedürfnis von Stadtverordneten ist man machtlos.
«Echolot»: 2. Januar fertig. – Fotos abfotografiert.
Kleve Mo 11. März 1991
1894: Otto Grotewohl geboren
In Kleve waren junge Leute, die von der katholischen Kirche gefördert werden. Obwohl ich lange angekündigt war und, wie sich herausstellte, doch wohl der Hauptreferent der 14tägigen Veranstaltung war, hatte niemand meine Bücher gelesen. Sie wären derartig mit Böll überfüttert worden in der Schule, sagte eine Studentin, daß sie nun vom Krieg die Nase voll hätten. Auch hier ist mal wieder das Schlechte der Feind des Guten. Der Symbolcharakter von Literatur wurde nicht verstanden. Trotzdem hat’s mir Spaß gemacht, die Sonne schien – einziges Manko: Eine halblahme Ente kroch über meinen Spazierweg.
Einige schöne Eidetiken.
Zwei Bilder gekauft, eine«Lotsenfahrt auf stürmischer See»und einen«Industrievorort».
Wasserburg Rindern, Kleve Mi 13. März 1991
1925: Fritz Weineck, der«Kleine Trompeter», in Halle ermordet
«Echolot»: Simone war gestern in Bonn und knüpfte Kontakte mit den Adenauer-Leuten 3 . Einen einzigen Brief hat sie mitgebracht.
Am Abend eine erste Lesung aus«Echolot», der 1. Januar 1943, Studenten mit verteilten Rollen. Etwas zu lang, wurde aber gut aufgenommen. Langes Gespräch hinterher, in kleinstem Kreis. Von all den Leuten, die doch wußten, daß ich kommen würde, hatte niemand etwas von mir gelesen.
2007 : Habe aus diesem Institut heraus noch viele Wohltaten empfangen.
Den«Vaterplatz»einnehmen, an der Schmalseite des Tisches.
Paderborn Do 14. März 1991
I883: Karl Marx gestorben
T: Die alte Geschichte: Ich stehe im Abitur und lasse alles laufen, da ich«es ja schon habe». Da sagt mir einer: Dein Abitur ist ja längst verfallen!
Dann soll ich über Frankreich unterrichten und fange mit Polen an. Völlig unmöglich! Aber ich werde ja bald pensioniert.
Das Leben im Zeitraffer. Ein Zeit-Mikroskop erfinden. Tage unter einer«Zeit-Lupe»betrachten, wie man Streptokokken zählt, die Schichten des Bildes abheben, wie beim Sezieren eines Toten. Statt zu
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