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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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arbeiteten auch sie. Zum Teil sehr wunderlich.
    Der Kellner hier im«Ali Baba»sagt zu einem Gast: So eine Jacke hat er auch.
    «Hier in Oldenburg gekauft?»
    «Ja. Ich trag’ die nur selten...»usw.
    Ganz gemütlich. Warum auch nicht. Diese Deklassierung von Kellnern ist sowieso unwürdig. Manche Leute machen das gern, Kellner anschreien. Sie spielen den großen Herrn, sind also Herrchen.

Nartum Di 2. Juli 1991
     
    1949: Georgi Dimitroff gestorben
    42% der DDR-Volkskammerabgeordneten waren noch Mitglied der NSDAP gewesen.
    Wär’ mal interessant, die ehemaligen Kommunisten unter den Bundestagsabgeordneten zu zählen. Aber Vorsicht! Das kann man ja nicht vergleichen.
     
    2007: «Ich war natürlich auch 68er …», das hört man jetzt öfter. Die müßten sich irgendwelche Abzeichen anschaffen.
     
    Haarsträubender Bericht über eine West-Schulklasse in Brunshaupten. Wurden dort von Ost-Schülern geschlagen und beschimpft. Man fragt sich: Wo waren da die Lehrer? Und: warum geschlagen? – Aber wer weiß denn, wie hochnäsig die verwöhnten West-Kinder sich benommen haben.
     
    TV-Aufnahmen aus Slowenien und Kroatien. Wippende, ausgelatschte Panzer wurden mit Steinen beworfen. Granateinschläge, Verwundete und Tote. Schreiende Frauen, sie wollen ihre Söhne wiederhaben, Deserteure, denen die Schulterstücke abgerissen werden. Kein Mensch weiß, was daraus werden soll.
    Kaum ist im Irak einigermaßen Ruhe, da geht’s auf dem Balkan los. – Ich kriege die Staaten immer durcheinander.
     
    M/B jetzt 99 Seiten, 14. Kapitel angefangen. Zwei Drittel. Mühsam.
    Archivnummer 2999 aufgeräumt, hübsche Zeichnungen gefunden.

Nartum Mi 3. Juli 1991, heiß
     
    Der Auto-beiseite-schiebe-Krieg. Es macht den Panzerfahrern besonderen Spaß, Autos beiseite zu schieben.
     
    Die infernalische Hoffnung: Sie möchten sich dort unten alle gegenseitig matt setzen.
    Eine Frau an der Grenze:«Es gibt dort so freundliche Menschen, und es ist ein so schönes Land»(Slowenien). Freundliche Menschen gibt es überall und schöne Länder auch. Was muß diese Frau erfahren haben, und warum erzählt sie uns das?
     
    Die Hühner liegen in der Sonne mit aufgestellten Federn. Vor mir liegt ein zweigeteiltes totes Vögelchen. Wenn Mäuse vor Hühnern weglaufen. Das schaffen die nicht. Schöne Hühner, niedliche Mäuse, prachtvolles Wetter und eine Leiche zu meinen Füßen.
     
    M/B:
    17. Kapitel
    Danzig schlafen, Nehrung, abends nur kurz Zeit, Maria nicht zu finden. Im«Senator»essen. Dann Rückflug.
    18. Kapitel
    Hamburg, Wohnung leer.
    Heute nachmittag schrieb ich im Garten das heikle Kapitel von
    Rosenau. Damit wären die eigentlichen Schwierigkeiten gemeistert. Nun läuft die Sache aus. Fast möchte ich wetten, daß wir bei S. 140 enden.
     
    Danach unruhig im Haus auf und ab, auch die Hitze machte mir zu schaffen. Langeweile, die ich sonst nicht kenne. Ausgelöst durch zu viel Arbeit.
    Die Danziger Marienkirche auch in Papier nachbilden, Königsberger Dom, Stralsund. Alle Schwestern nebeneinanderstellen.
    «Kann man die kaufen?»sagen die Leute, wenn sie mein Modell von der Marienkirche sehen. Auf dem alten DDR-STADTPLAN haben sie die Kirchen einfach weggelassen. Als es ans Demonstrieren ging, wußten viele Rostocker gar nicht, wo die Marienkirche lag. Überhaupt die«Altstadt»war ihnen kein Begriff.
     
    «Echolot»: Wir beginnen nun mit dem Februar. Ein Herr Real in Koblenz hat uns Ribbentrop-Rechnungen zugesagt.
    Die Nazi-Gemälde in München dürfen nicht reproduziert werden. Ich darf sie nicht einmal sehen. Bilder vom heroischen Handgranatenkampf würden die jammervollen Stalingrad-Briefe scharf konstrastieren.
     
    TV: Drei junge irakische Lehrerinnen, die sich über Saddam freuen, daß der jetzt wieder im Sattel sitzt. Die Bombardierungen haben ihnen nichts ausgemacht, sagen sie. Die Mimik erinnerte etwas an die Haltung junger Kommunisten, wenn die ihren eingelernten Überzeugungsquatsch ablassen.
    Gott!
    Irgendwann tauchen diese Kinder dann hier auf und werden von den Grünen umhegt. Die Sozis sind etwas realistischer.
     
    In Jugoslawien absolutes Durcheinander. Im japanischen Fernsehen (Satellit) ganz andere Aufnahmen. Bei uns schneiden sie alles weg, was grausig ist. Wir werden von der Obrigkeit behütet.
    Eine Oma vor ihrem ausgebrannten Haus. Es wurde von abziehenden serbischen Panzern aus Spaß in Brand geschossen.
    Obwohl ich mit denen nichts zu tun habe, hasse ich mit den Slowenen die Serben. Ich bin ganz empört. –

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