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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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Die Serben wollen im übrigen ihren König wiederhaben.
     
    Ich bekam heute ein frisches Bett. Zu Mittag gab es Linsen und Schokoladenpudding.
     
    Telefon: Eine Zeitung fragt, ob ich einen Fotoroman (Sprechblasen) für sie schreiben will. Drei Seiten, 5000 DM – das ist’ne Frage. Man enthält sich. Das wird einem nirgends angerechnet, und man selbst schlägt sich mit der Faust vor die Stirn. Das schöne Geld. Wie stand’s an unserer Schule:«Reif werden und rein bleiben»…
     
    Die hartnäckigen Schwierigkeiten, z. B. die profaschistischen Äußerungen Paveses besorgen.
     
    2007: Sind nirgends zu bekommen. Ja, da wurde mancher Lebenslauf korrigiert. Warum auch nicht? Wenn einer bereut, was er getan hat? Warum soll man’s den Leuten auf die Nase binden, was man alles für’n Blödsinn gemacht hat. Im Grunde genommen besteht die gesamte Geschichte nur aus der Korrektur von Irrtümern.
     
    Pavese:«Das Handwerk des Lebens», Tagebuch 1935-1950. Lenzen:«Cesare Pavese: Tödlichkeit in Dasein und Dichtung».

Nartum Do 4. Juli 1991, heiß
     
    Nehring schreibt, daß er entlassen wurde. Allmählich bin ich doch erschrocken über das Ausmaß, mit dem alles, was DDR war, zusammengeklappt und weggestellt wird. Im einzelnen werden die Entscheidungen vermutlich plausibel und zu verteidigen sein, aber dies totale Abräumen läßt doch die Frage aufkommen, ob da nicht grundsätzliche Fehler gemacht werden. Fehler auch in der Beibehaltung alter«Kader», die die Wirtschaft ohne weiteres übernimmt. Wie sollte es auch anders sein. Soll man sie mit einem roten Stern durch die Straßen jagen?
     
    Ich konnte auch heute gut arbeiten, nahm mir das«Maria»-Kapitel vor, schrieb zwei Seiten dazu. Und veränderte die Charaktere ein wenig. Verdeutlichungen.
     
    Frau Frohriep kam, ich wies sie in das Registermachen ein.
     
    Hildegard sagt, mein Gang sei widrig. Sie meint damit, ich ginge nicht so, wie man von Natur aus geht. Und das nach 30 Jahren glücklicher Ehe. Soll ich denn tänzeln?
     
    Hunde-Aufregungen, ein Huhn wurde nur knapp vorm Exitus gerettet. Ich hörte Hildegard rufen:«Sag mal, bist du nicht ganz richtig?»
     
    Das Geldwasser zieht sich zurück. Ab und zu brandet es mächtig ans Ufer, und dann zieht es sich zurück, hinterläßt ein paar vertrocknende Blasen.
     
    Notizbucheinträge zu«Mark und Bein»:
     
    Warum immer in der Mitte der Fahrbahn fahren:
     
    Wenn’n Reh kommt, ½ Sekunde mehr Zeit zum Ausweichen, sagt Kleinert.
Foto von Kind am Autoschlüssel, es baumelt hin und her.
Überträgt sich’s?
Vorsicht, Kamera.
Ihren Hinterkopf studieren.
Marienburg: Die Kinder, die uns anbettelten, wir gaben ihnen Schokolade. Der größte sammelte alles ein und ließ den kleinen nichts.
«Na, woll’n wir mal’n bißchen mampfeln?»
Nach jedem Halt 5 mm weiter nach hinten gestellt den Sitz (Vorder-).
Im Betriebschor mitsingen.
Das zieht sich hin.
Das wurde in 3/30 abgehandelt.
Winkelvoss knöpft ihn sich vor, ob er schon mal auf Sizilien Urlaub gemacht hat?
Grabrede.
     
    Hildegard: Wohnen sei für uns Selbstzweck.
«Wohnen ist unsere Hauptbeschäftigung!»
     
    Wenn eine neue Kultur sich installierte, wurde die andere erst mal zerstört, sechs Trümmerstädte übereinander. Was wohl noch so alles im Schoße der Erde verborgen liegt? Pompeji haben sie ja durchforscht, aber mit Herculaneum ist es schwierig: Das Vulkangestein dort soll eisenhart sein. Manchmal fischen sie auch was aus dem Mittelmeer, Bronzestatuen, die wie Schwämme aussehen, und dann gehen sie mit Zahnarztbohrern daran, bis alles wieder fein glatt ist. – Komisch: Unsere Museen stehen voll Antikem, aber was die Fischer aus dem Wasser rausholen, interessiert uns mehr.
     
    Der Politiker Eichel nennt als seine Lieblingsblume das Löwenmäulchen (FAZ). Das überrascht. Ich hätte eher gedacht, er würde die Schafgarbe wählen.

Nartum Fr 5. Juli 1991
     
    I857: Clara Zetkin geboren
    5.30 Uhr
    Beim Aufräumen der Küche:
    Hildegard:«Jede Hausfrau läßt was stehen in der Küche, das sie nicht aufräumt.»

Langeoog Sa /So 6./7. Juli 1991, heiß
     
    Tag des Bergmannes und des Energiearbeiters
    «Wiebke»von Radio Bremen, gestern, ist nicht für die DDR. Da sei im Zug eine ganz dicke Frau gewesen, die auf einem besetzten Platz gesessen und ihn trotz mehrmaliger Aufforderung nicht geräumt habe. – Deshalb sei sie nicht für die DDR. Ein Herr erzählte nach der Lesung, er wohne bei Lübeck, und sie führen sehr häufig nach Mecklenburg, weil das

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