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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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doch ihr natürliches Hinterland sei. In Rostock sei ja jetzt ein unwahrscheinlicher Verkehr. Wirtschaftlich sehe es schon viel besser aus, als uns die Medien weismachten.
     
    Die Bremer Rundfunkleute nahmen mich von Bremen aus in ihrem Auto mit. Wir erreichten die Fähre 5’ vor Abfahrt. Ich versuchte, den sehr schlechten Eindruck, den ich bei ihnen vor einem Jahr gemacht hatte, wiedergutzumachen, und ich gab mich also launig und bramarbasierte da irgendwelchen Quatsch zusammen, ich«unterhielt»sie mit erprobten Storys. Damals in Norderney war aber auch alles widerlich, was nur sein konnte: diese doofe Schlagersängerin, die Autos, die am Café vorübertuckerten.
    Als wir ankamen:
    «Also, wir werden von einem Pferdefuhrwerk abgeholt.»
    Alle Leute stiegen in den Zug, wir blieben auf dem Bahnsteig stehen.
    «Wollen Sie noch mit?»
    «Nein, wir werden mit einem Pferdefuhrwerk abgeholt.»
    Ich saß schon im Zug, wurde durchs Fenster angeklopft:«Wir werden durch ein Pferdefuhrwerk abgeholt!»
    Na, das kam natürlich nicht. Ich winkte mir einen kleinen Jungen heran, gab ihm eine Mark und ließ ihn meine Tasche in ein Café fahren, vielleicht einen Kilometer entfernt, und setzte mich da hin und aß einen Lachs, bis die anderen kamen:
    «Wir werden von einem Pferdefuhrwerk abgeholt.»
    Und das kam dann auch nach etwa einer Stunde. Das Pferdemädchen erzählte, das Pferd ihrer Kollegin sei durchgegangen, der Wagen nur noch Kleinholz.
     
    Gegenwind entstellt.
    Wasser ist ja eigentlich zum Kotzen. Das Meer! O Gott. Wie habe ich mich an der Ostsee immer gelangweilt, als Schüler.
     
    Am Freitagnachmittag ging ich am Strand spazieren. Wenig Erhebendes war zu sehen. In meinem Alter macht man sich verdächtig, wenn man sich auf der Promenade auf eine Bank setzt und Leute anguckt.
    Leute aus dem Inland erkennt man daran, daß sie statt«die See»-«das Meer»sagen.
    Ich aß in einem völlig leeren Glaslokal mit Ausblick auf das langweilige«Meer»ein Stück Ostfriesentorte.«Darf ich bitte gleich kassieren?»fragte der Ober.
    Danach wechselte ich das Lokal und aß in einem anderen Glaspalast ein schlechtes Eis.
    Im Kurhaus war’s am Abend absolut voll, vielleicht 300 Menschen, die natürlich aus allen Gegenden kamen. Es war äußerst gemütlich, und ich genoß es, obwohl die beiden Bälle des Mikrofons direkt vor meinen Augen waren, ich konnte mein Buch gar nicht sehen, hatte also leider extrem viele Versprecher. Auch lag mir ein Goldbarschfilet im Magen, das ich unmittelbar vorher … Es war trocken und offensichtlich in heißes Fett gehängt worden, altes Frittenfett. Schmeckte scheußlich, dazu eine Champagnercremesuppe, die wie heißer Tapetenkleister schmeckte, und ein auf’s Wichtigste beschränkter Salat ohne jedes Gewürz.
    Dabei erzählte Frau Behl aus Indonesien, wie gut das Essen dort gewesen sei. – Sehr sittenstreng die Leute da unten, auf der Straße nicht küssen usw. Ein Deutscher hätte eine Sprachfibel für dort geschrieben, die Leute wären entsetzt gewesen. Wahrscheinlich habe der Mann, anstatt sich zu informieren, auf der Terrasse gesessen und Cocktails getrunken. (Außer einer Bloody Mary habe ich in meinem ganzen Leben noch keinen Cocktail getrunken.) Nun ja, Goethe-Institut. Ich sagte ihr, daß ich außer in Amerika niemals vom Goethe-Institut zum Lesen aufgefordert würde. Nie«Fernost»usw. Meine alte Leier. – Ihre gesamte Habe hat sie verloren, erzählt die Frau Behl, 3000 Bücher und die Möbel, weil der Container ein Loch gehabt habe und der tropische Regen da rein … Die Bücher wären Matsch gewesen. Die Versicherung habe eine Aufstellung sämtlicher Bücher verlangt, Titel, Preis usw.
    Nach der Lesung, die mir sehr viel Spaß machte, weil wir uns so schön einig waren alle, setzten wir uns in ein Straßencafé und tranken Malteser. Ich aß Milchreis, um für die Nacht gewappnet zu sein. Autogrammleute, was meine Stimmung steigerte, obwohl ich mich ein wenig belästigt fühlte, da ich unter Beobachtung durch die Bremer stand.
     
    In der Nacht sah ich noch einen langen französischen Krimi, zwei englische Mädchen, Radwanderinnen, die eine wird umgebracht. Der Polizist war es. Sehr gut gemacht, obwohl ich schon drei Kilometer vorm Ziel wußte, wer«es gewesen war». Bisher galt die Grundregel: Der Polizist darf nie der Täter sein. Die scheint jetzt aufgehoben.
    Um ½3 Uhr löschte ich das Licht.
    Am Sonnabend sehr früh heraus und vorm Frühstück einen langen Spaziergang am Strand,

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