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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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menschenleer. Leider ein Trekker, der Plastiktüten einsammelte.
    Beim Frühstück benahm ich mich wieder sehr ungemütlich, beanstandete laut die Musik, ärgerte mich, weil man mich – offenbar ein Stammplatz – vom Tisch wegjagte, an den ich mich eben gesetzt hatte usw. Ich fing mich jedoch.
    Auf der Rückfahrt, wieder mit den Bremern, schlief ich.
    Auf der Fähre belauschte ich ein Gespräch über Sizilien.«Wiebke»hielt eine Propagandarede, war so begeistert, daß sie Frau Behl«rüberziehen»wollte. So was kennt man auch bei Autobesitzern.
    Auf Langeoog fehlen die älteren Damen, die vollständig bekleidet in den Cafés sitzen und wohlwollend lächeln.
     
    Nartum
    Beim Nachtspaziergang liefen die Hunde weg.
     
    Im Fernsehen Steffi Graf, wie sie Wimbledon gewinnt auf dem ruinierten Rasen dort. Kurz war sie mit ihren Eltern zu sehen, an einem Gartentisch, Sekt schlürfend. Also, der Vater ist ziemlich suspekt, aber das kann mir ja egal sein. Außerdem: Sekt? Wer trinkt schon Sekt? und an einem Gartentisch? So was befremdet.
    Masur, wie er den«Bolero»dirigiert, also, das war vielleicht fürchterlich. Dies simple Stück meinte er den Musikern, die das doch bestimmt zum Kotzen finden, durch nachfedernde ruckartige Bewegungen vormimen zu müssen! Über die ganze Länge des Stückes. Ich bin versucht zu sagen: Typisch DDR. Aber so etwas kriegen sie hier auch fertig. Ravel selbst meinte übrigens, sein«Bolero»enthalte überhaupt keine Musik. – Im allgemeinen kann man sagen, daß der«Bolero»an allen Ecken und Enden verwurstet wird. Sogar die Eiskunstläufer benutzen ihn.
     
    Der überglückliche, übergewichtige Kanzler, der wie seine eigene Karikatur aussah, war mit ihm zusammen auf einer Sportveranstaltung zu sehen, vorher, so eine Art«Talk». Redete da was von seiner Jugend, daß er da auch gern Faustball gespielt hat. Masur hat vielleicht den Brummkreisel geschlagen?
     
    Blüm sei tagelang völlig versteinert herumgelaufen, heißt es, weil er mit seinem Bonn-Engagement nicht durchgedrungen sei.
    Engholm, der an seiner Pfeife saugende Dünnmann. Vielleicht ein ganz angenehmer Mensch, aber doch kein Bundeskanzler. Da sollten sie lieber den Thierse aufstellen.
     
    Film über die verseuchten Abraumhalden in Sachsen. Die Einwohner hatten zu DDR-Zeiten das mal messen lassen, auf Strahlung hin.«Wer hat das gemessen? Wie heißt der Mann?», das sei die einzige Reaktion gewesen. Die Strahlung jetzt sei 20mal höher als auf dem Zwickauer Marktplatz, wurde gesagt.
     
    Im TV wurden per Knopfdruck ich weiß nicht wie viele Telefonanschlüsse eingeweiht, 150 000 oder sowas, so daß man nun zwischen Mecklenburg und Niedersachsen besser telefonieren kann.
    «Warum hat das so lange gedauert?»wurde der Postmensch gefragt. Die Schwierigkeiten seien enorm gewesen. Das kann sich doch jeder Mensch denken! Ich finde, das ist ziemlich schnell gegangen. Aber man hat wohl ein anderes Zeitgefühl, wenn man auf etwas wartet.
     
    Daß es keine Ossi-Witze gibt, ist merkwürdig. Das liegt wahrscheinlich daran, daß das Verrückte offen zutage liegt. Den am Boden Liegenden verspottet man nicht. Da war das mit den Ostfriesen schon was anderes.
     
    Der Genosse Peter Schütt hat einen Wiedergutmachungsartikel in der FAZ veröffentlichen dürfen. Walser, Raddatz und Ranicki hätten in seiner Wohnung mit Werftarbeitern diskutiert. Wie die wohl gesoffen haben!
    22 Uhr
    M/B:
    Heute tippte ich das 15. Kapitel ab, Rosenau, wir haben jetzt über die Flaggen 106 Seiten. Ich glaube nicht, daß das Buch noch die Vater-Passage trägt. Ich denke, ich mache das nicht.
     
    16. Kapitel
    Rastenburg. Während Joe sich alles angucken will, schwätzt die Winkelvoss ihm von Sizilien vor.
     
    17. Kapitel
    Danzig. Bus«KZ-Ausflug»heute nicht. Abends geht die Winkelvoss auf Hansi los. Gegenstück zu ihrer«Vergewaltigung».
     
    18. Kapitel
    HH ab. Epilog.
     
    Die Schwägerin kam aus Australien. Sie hat bei der Lufthansa acht Stunden nichts zu essen gekriegt. Die 400 Menschen seien schon unruhig geworden. Singapur – Frankfurt: 14 Stunden.
     
    Jeder Idiot weiß jetzt, wo Slowenien liegt. Die Verwechslungen mit der Slowakei halten an.
     
    Lit.: Koestler:«Zeuge der Zeit».
    Das hätten alle lesen können. Aber wer wird schon aus Büchern klug!

Nartum Mo 8. Juli 1991, heiß
     
    T: Es ist gelungen, Geräte zu entwickeln, die alle verbrauchten Energien reaktivieren. Damit kommen wir dem ewigen Leben näher.
    Utopisch die Verkehrsnachrichten, wenn

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