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Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)

Titel: Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
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da von Thüringen die Rede ist oder von der«Anschlußstelle Laage bei Rostock».
     
    Verabschiedung beim Schulrat in Zeven, er erzählte Storys aus seiner Lehrerzeit. Daß ein Kollege an einen anderen Ort versetzt worden sei, weil er kleinen Mädchen unter den Rock gegriffen habe. Man habe gemeint, das damit zu vertuschen, aber alle hätten es natürlich gewußt. Er habe es dann vermieden, Schulausflüge zu machen.
     
    Verabschiedung beim Präsidenten in Oldenburg. Vorm Schreibtisch. Zehn Jahre Oldenburg!
    Es waren fünf schweigsame Journalisten gekommen sowie je ein Herr der beiden Fachbereiche, Westfalen und Stölting. Ich trank ein Glas Wasser und hörte mir das Gestottere an. Wahr ist, daß mir Oldenburg zehn Jahre meines Lebens geschenkt hat. Ansonsten war es eine ganz schlappe Sache.
     
    2007: Nie wieder gehört von den Leuten.
     
    Die Hitze ist kolossal.
    Traurig.
     
    Westfalen bezeichnete mich dreimal als«weltbekannten Autor». O Gott, die Slumbewohner in Indien.
    Er sei ein Fauler, er könne die Zeit so wegschmeißen. Nebentisch, ein eitler Dozent.
    «Wer einmal durch so eine Mühle gegangen ist wie ich... Ich bin durch den Katholizismus gegangen...»
    «Wir wissen heute noch weniger, aber mehr.»
     
    «Da soll sich erst mal einer hinstellen», sagte heute der Tankwart zu mir, als er mich identifiziert hatte, er meinte den«Stern», die Sache mit Wieser, die sollte ich mir man nicht so zu Herzen nehmen.

Nartum Di 9. Juli 1991
     
    I9I4: Willi Stoph geboren
    So wäre ich denn nun also Pensionär. Der Unterschied zwischen«Rentner»und«Pensionär».
    Einen Schock werde ich nicht empfinden, den hatte ich 1980, als ich mich für ein Jahr vom Schuldienst beurlauben ließ.
    Die Oldenburger Zeit, so«schäbig»sie auch war, läßt sich in meine Vita sinnvoll einfügen, sie brachte mir die Idee zu den privaten Seminaren und den Sommerclubs, die nun allerdings auslaufen bzw. sich erledigt haben.
    Daß der Schlußakt so jämmerlich ausfiel, hat mit dem Stil der Gesellschaft zu tun, das ist ganz richtig so. Man schenkte mir ein Buch, das sich nicht öffnen läßt, also ein Kunstwerk. Ich empfing es aus der Hand des Rektors.
     
    Jetzt bleiben noch ein paar große Brocken nach:
«Mark und Bein»
«Echolot 1943»
Dorfroman
«Alkor»
     
    Das wird mich bis zum Ende des Jahrzehnts beschäftigen. Danach vielleicht ein weiterer«Echolot»-Band, Juni und Juli 1944.
     
    1999 werde ich 70.
    Ich müßte mir noch etwas ausdenken, was mit Pädagogik zu tun hat. Der Dorfroman.
     
    Solschenizyn hat bekanntgegeben, daß er wegen seines hohen Alters die Arbeit an seinem Knoten-Zyklus einstellt. Das kommt davon, wenn man den Mund zu voll nimmt.
    Daß er sie einstellt, die Arbeit an seinen 20 Bänden, wird berichtet; daß ich meine«Chronik»1984 vollendet hatte, war den Feuilletons keine Zeile wert. Gestern bei meiner Verabschiedung sprach der Präsident der Ossietzky-Hochschule von meiner«sechsbändigen Chronik».
    So wie Hubert Fichte es gemacht hat, sollte man es nicht tun: alle Zeilen, die man irgendwann einmal in Blei gießen ließ, nachträglich zu einem Zyklus zusammenfügen. Was muß ein solcher Mensch alles wissen! Und doch, was sein Gesamtwerk anbetrifft: ein leichtes Mißtrauen gegen sich selbst. Denn auch Essays mit hineinzunehmen in seinen empfindsamen Koloß, wie auch Balzac es tat in seiner«Menschlichen Komödie», zeugt von einem leisen Mißtrauen, ob’s wohl nach allen Seiten hin abgesichert ist?
    Bei Fichte kamen so 19 Bände zusammen, bei Balzac 91 – von ursprünglich geplanten 137! Meine drei«Befragungsbücher»sind damit wohl nicht zu vergleichen. Auch ich hatte versucht, Essays zu schreiben, speziell für die«Deutsche Chronik», mit miserablem Ergebnis. Die sieben Hörspiele allein könnte man hinzurechnen.
    «Geschichte der Empfindsamkeit»ist ein noch schlechterer Titel als«Deutsche Chronik».
    Fichte war als junger Mann Hirte in der Toskana – kein schlechter Lebensanfang für einen, der noch viel vorhat.
    Frau Lindemann vom NDR in Hannover hatte sich seiner angenommen. Inzwischen ist auch sie gestorben. Von einem Berg ist sie gestürzt.
    Ich fragte sie mal, warum sie nie etwas über mich gesendet hat, im NDR. Da sagte sie:«Ich mag Sie eben nicht.»
    Daraufhin ich:«Sie hätten ja was Negatives sagen können!»Im übrigen hat sie mal eine lange Sendung gemacht, mit Johnson und mir.
     
    2007: Als junger Mann gehörte Fichte zu dem Kreis um Hans Henny Jahnn. Darüber hätte man gern mehr

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