Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
Ferienlager mehr für Kinder gebe.
Auch darüber lohnt es sich, nachzudenken.
Danach lange an M/B, die«Wolfsschanze»weiter; morgen vielleicht noch mal. Hildegard erfand am Abend den schönen und treffenden Untertitel:«Eine Episode». Jawohl, das ist richtig. So werden wir es nennen.
2007: Es kostete uns viele Leser: Romane wollen die Menschen, aber keine Episoden. Also war es falsch.
Lit.: Bilderbuch von Johnsons Jerichow. Der Autor versucht, mit dem dünnen Buch so ein Johnson-Dechiffrier-Syndikat aus der Taufe zu heben.
«Spiegel»über die SU. Katastrophal! ¼ des Sozialprodukts geht immer noch in die Rüstung.
Pro Tag produzieren sie zehn Panzer (USA 2), 15 Schützenpanzer (USA 3). – Wie viele Panzer sie wohl für die Kindergärten hergestellt haben, drüben im goldenen Osten?«Wehrerziehung»nannte sich das. Hier bei uns verbieten sie die Strandburgen.
Nartum Di 16. Juli 1991
1952: Wilhelm Pieck eröffnet die Pionierrepublik am
Werbellinsee und gibt ihr seinen Namen
Am Nachmittag langes Gespräch mit Bittel, der inzwischen das«Echolot»gelesen hat und«überzeugt ist»von dem Vorhaben, wie er sagt. Es wären hübsche Geschichten drin.
Bittel sagt, die Frau von Adorno sei«steinalt»geworden. Früher sei sie mal eine Schönheit gewesen.
Mißglückte Selbstmorde – auch so ein Kapitel. Den Leuten, die sich in den Schnee legen bei hohem Frost, droht die Abnahme eines Beines, wenn sie wieder aufwachen. Und was ist mit den Leuten, denen der Strick reißt? – Ein ehemaliger Kamerad aus Bautzen setzte sich, die Schlinge um den Hals, auf den Ast eines Baumes. Dann trank er eine ganze Flasche Kognak aus, und als er das getan hatte, stürzte er ab und der Strick riß nicht . Ein lieber Mensch übrigens, über dessen selbstgewähltes Ende die Freunde seltsamerweise lachten.
Bittel sagte noch, daß an den Nachlaß von R. Strauss nicht heranzukommen sei, da säßen die Nachkommen drauf, hielten das zusammen, ließen niemanden ran.
Der«Echolot»-Text habe eine ziemliche Sogwirkung.
Nartum Mi 17. Juli 1991
Gestern war ich in Hamburg, ich fuhr gleich nach dem Frühstück. Bei Henning stöberte ich drei Stunden lang und fand auch ganz richtig einen Haufen Brauchbares für das«Echolot».
2007: Inzwischen hat das Antiquariat dichtgemacht, weil man ihm dreimal die Miete erhöhte. Wieder ein Stück Heimat weggebrochen.
Der Liter Benzin kostet jetzt 1 Mark 45. Ich erinnere mich noch, 1963 in Rotenburg 23 Pfennig gezahlt zu haben.
2007: Normalbenzin kostet jetzt ungefähr 1,40 Euro.
Dierks ist pikiert wegen meiner Meckereien über die Verabschiedung in Oldenburg. Nun – ich wollte diese Zeremonie ja überhaupt nicht. Sie haben mir das ja aufgedrängt. Wysling, der Direktor des Thomans-Mann-Archivs in Zürich, sei überhaupt nicht verabschiedet worden. Schlimm genug!
Robert gestern am Telefon, Entschädigung ja, Rückgabe nein, hätten die Behörden gesagt, in Rostock, im Hinblick auf unser Haus. Was das nun wieder zu bedeuten hat?
Herburger, seine Laufgeschichten. Schöne Idee. Ich lese jeden Tag einen Lauf. – Stil erträglich, manchmal unerträglich.
Ich denke gerade an meine Ms. in Hannover. Bin jedes Mal gerührt, wenn ich sie sehe.
«Richi»Weizsäcker in der Niederlausitz. Dort wird ihm Salz und Brot angeboten. Man sah ihn in sämtlichen aktuellen Sendungen, also mindestens fünfmal, das Brot mit säuerlicher Miene kauen.
Gabriel Laub gestern im TV, nicht wiederzuerkennen, angegreist.
Eine Mohammedanerin beschwerte sich, daß man in der Fabrik, in der sie arbeitet, wohl ein Bier trinken dürfe, aber nicht beten. Man muß die devoten Moderatoren gesehen haben! Einsickernde Hunger-Rumänen. Sie leben zunächst wochenlang auf den Müllabladeplätzen in Polen und sickern dann über die Grenze.
Die Franzosen haben gestern wieder eine Atombombe gezündet. Der«Pilz»war zu sehen auf der Mattscheibe. Skandalös und obszön. – Nach einigem Nachdenken kam ich drauf, daß die Atombomben, wenn die SU aus dem Leim geht, vielleicht doch nötig sein werden. Aber jetzt noch Versuche anstellen? Töter als töt kann man doch gar nicht sein.
Herr Schönherr brachte unsere Sonnenscheibe, den großen Gong, den ich vor einiger Zeit kaufte. Sie hat fast acht Jahre im Freien gehangen und ist schwarz. Mit allen möglichen Mitteln rückt man ihr jetzt zu Leibe, aber sie gibt«nur»einen matten Glanz preis. An sich schön, ehern, uralt
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