Somnia: Tagebuch 1991 (German Edition)
wirkend. Ein bißchen ewig.
Gestern haben sie auch die Pferde der Quadriga wieder aufgestellt. In einem dieser Plus-Sender sagten sie, es habe schon große Auseinandersetzungen gegeben wegen des Eisernen Kreuzes, im ZDF kein Wort davon. Als ich sie da so stehen sah, dachte ich: Das ist jetzt der Abschluß, nun beginnt ein neues Kapitel. Dazu paßt (nur scheinbar?) die Überführung der Gebeine Friedrichs II.
M/B: Am Vormittag überarbeitete ich das«Wolfsschanzen»-Kapitel. Es wurde dadurch um eine Seite länger.
Ich werde wahrscheinlich die Kapiteleinteilung ganz fortlassen. Über Mittag für«WamS»(Schwilk!) 150 Zeilen über die Quadriga und Friedrich II. diktiert.
«Echolot»: Am Nachmittag den 19. Januar neu eingerichtet, der bisher noch fehlte.
Am Abend leider eine TV-Sendung über Stralsund. Daß dort die Hausbesitzer kein Geld oder kein Recht kriegen. Man zieht es hin, um sie zu betrügen. – So geht es uns jetzt auch. War ganz benommen von der Erkenntnis, daß man jetzt, nach allem, noch immer von den Leuten reingelegt wird.
Stralsund hat übrigens mehr sogenannte«Bausubstanz»über den Krieg gerettet als Rostock. Die schönen Giebelhäuser – eigentlich ja langweilig. Ich sah einen einzelnen Mann«sein Haus»ganz allein reparieren. Er zeigte uns die alten Balken.
Nartum Do 18. Juli 1991, regnerisch
Tag der Interbrigaden
Ranicki hat heute gemeint, ein Autor kriege für ein Hörspiel 50 000,-, und dem hat keiner in der Runde widersprochen.
M/B: Heute früh schrieb ich mit Bravour in einem Zug das 17. Kapitel, Nehrung. Es sind jetzt insgesamt 121 Seiten.
Text hat mich sehr mitgenommen. Es sind da immer noch Restbestände, die das abgebrochene Gespräch mit meinem Vater betreffen. Aber wer kommt je mit seinen Eltern zu einem Ende? Erwarten sie uns an der letzten Tür? Ich weiß nicht, ob ich das wünschen soll.
Ein Mann schlich ums Haus am Nachmittag, ich holte ihn herein, ein Gewerbelehrer, er sei schüchtern, sagte er. In der Tat muß es ihm die Sprache verschlagen haben, er konnte sich auf die Titel der Bücher nicht besinnen, die er von mir gelesen hat.«Sirius»und«Hundstage»waren es.
Im Gespräch war dann zu merken, daß er diese Bücher wirklich gelesen hat. Er habe Angst um mich, sagte er, weil ich im«Sirius»so offen meine Meinung gesagt hätte. – Im Land der freiesten Demokratie sollte man sich hüten, seine Meinung zu sagen?
Unruhe wegen Hildegards Reise nach Potsdam.
Hildegard bedankte sich heute aus heiterem Himmel bei mir:«Für vieles.»
Simone sagte, es sei eigenartig, ich sei in diesem Haus immer absolut da. Ich erfüllte das Haus, auch wenn ich nicht da sei. Hört man ganz gern, so was, wenn es nicht als polizeiliche Aufsicht gewertet wird.
Wir sprachen auch noch von der Rostock-Film-Tour 1990, die ja sehr komisch war.
Heute schrieb Simone das neue Kapitel ab sowie sämtliche Korrekturen in den anderen Kapiteln. Ich hatte dadurch einen leichten Tag.
Im TV: Serbische Milizionäre lassen kroatische Gefangene die Straße kehren. Dies sei eine schimpfliche Beleidigung.
Die Tschechen weigern sich, ehemaligen Sudetendeutschen«den Erwerb von Wohnraum zu gestatten», von Entschädigungen ganz zu schweigen. – Nun, wenn sie EG-Mitglieder werden, dann schließt das Freizügigkeit ein. Sie verpassen die große Geste und handeln sich dafür Bosheiten ein.
Es leben eine Menge kleinliche Leute dort unten. Die Generation, die was aushalten mußte unter der deutschen Besatzung, ist doch längst«rausgewachsen».
Wenn ich nichtsahnend und in mich versunken Klavier übe, und dann wird plötzlich von drüben applaudiert – das ist schrecklich. Ich spiele ja nicht vor, sondern in mich hinein.
Las gestern die zwei Kapitel vor, Mutter- und Vaterbegegnung. Dabei machte ich die Beobachtung, daß ich ganz anders las als sonst, schnell,«tonlos».
Ein Mann hat 70 Autos mit einem Bagger zerstört, weil er sich über seine Freundin geärgert hat.
Die Idee, den pflasterschrubbenden Wiener Juden ein Denkmal zu setzen, muß unterstützt werden. Wir alle sehen das Foto noch vor uns. Zu was für Gemeinheiten die Menschen fähig sind! Der Antisemitismus scheint von Österreich ausgegangen zu sein, aber das spricht uns nicht frei.
Eine Kinderbefragung über Wessis und Ossis. Ein Wessi-Kind sagte, die Ossis hätten so eigenartige runde Köpfe und abstehende Ohren.
Heute beim Mittagessen sagte die Schwägerin aus Australien zur
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