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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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Inhalt. Wenn ich seine
Bibliothek richtig deutete, war der Gelehrte in ihm stärker
gewesen als der Bibliophile, denn welcher Bibliophile schreibt
Anmerkungen in die eigenen Bücher? Ich schniefte und
erschauderte. Ich spürte den kalten Schweiß im
Rücken. Kam er nur von der Erkältung?
    »Ihr Onkel hatte das Enchiridion im Trierer Antiquariat am Dom entdeckt und war so unvorsichtig, mir dies
mitzuteilen. Er hatte geglaubt, schneller zu sein. Damals, als er das
Buch gesehen hatte, hatte er es noch nicht mitnehmen können, es
sich aber zurücklegen lassen. Ich muss gestehen, dass es nicht
sehr fein von mir war, mich als Bevollmächtigter Ihres Herrn
Onkels auszugeben und selbst das Buch abzuholen, aber damals glaubte
ich, es sei bei mir unendlich viel besser aufgehoben. Inzwischen bin
ich mir nicht mehr so sicher. Manchmal glaube ich, er wollte, dass
ich das Buch bekomme und daran zugrunde gehe.«
    Ich witterte meine Chance. Plötzlich waren die halbe Million
und das Haus in der Burgstraße wieder in Reichweite
gerückt. »Ich hätte vielleicht eine Lösung
für Ihre Probleme«, sagte ich vorsichtig.
    Adolphi sah mich mit einem seltsamen Blick an. »Und wie
sähe diese Lösung aus?«, fragte er
argwöhnisch.
    »Ich kaufe Ihnen das Enchiridion ab.«
    »Wie wollen Sie das machen?«, fragte Adolphi hektisch.
»Das Buch ist ein Vermögen wert.«
    »Ich habe Geld«, sagte ich – nicht ganz
wahrheitsgetreu, denn um an mein – Onkel Jakobs – Geld zu
kommen, musste ich ja erst das Buch dem Notar vorlegen. Aber um
solche Spitzfindigkeiten konnte ich mich später
kümmern.
    Es schien, als denke Adolphi über mein Angebot nach. Dann
sagte er: »Nein, ausgeschlossen.«
    »Warum?«
    »Weil ich es nicht verkaufe. Ein Bibliophiler trennt sich
nicht von seinen Schätzen. Vor vielen Jahren habe ich einmal ein
Exemplar von Aldrovandus’ De Piscibus verkauft in der
Hoffnung, bald ein noch besser erhaltenes zu finden – was mir
bis heute nicht geglückt ist. Und das schmerzt mich noch immer
– der Gedanke, dass ich das Buch noch haben könnte, wenn
ich damals nicht so dumm gewesen wäre. Es ist, als ob man sich
einen Arm abschlägt und diesen verkauft.«
    »Aber wenn das Buch doch Ihrer Meinung nach einen unguten
Einfluss auf Sie ausübt…«
    »Lieber verbrenne ich es!«
    Bloß nicht!, wollte ich rufen, doch als ich den Blick sah,
mit dem er den auf dem Schreibtisch liegenden Pergamentband
streichelte, wusste ich, dass er sich zu einer solchen
Verzweiflungstat niemals würde durchringen können.
    Wieder sah ich die Wasserleiche Jakob Weilers, wie sie sich am
Rande des Burgweihers entlangschleppte und auf den mühsamen
Anstieg hoch zum Lieserpfad machte. Ich schüttelte mich. Er kam
immer näher.
    Das Buch! So nahe vor mir und doch unerreichbar! Sollte ich es
nicht einfach an mich nehmen? Aber was war damit gewonnen? Selbst
wenn es mir in meinem fiebrigen Zustand gelänge, würde mich
Adolphi sofort anzeigen. Was hatte ich dann von meinem Geld? Nein, so
ging es nicht.
    Er kam immer näher. Durch das Dorf, die
Kurfürstenstraße hoch…
    Ich schüttelte das Bild aus meinen Gedanken.
    »Warum wollen Sie das Buch haben?«, fragte Adolphi mich,
ging zum Schreibtisch, nahm den Folianten auf und wiegte ihn wie
einen Säugling in den Armen.
    Was sollte ich darauf antworten? Dass ich ohne das Buch mein Erbe
nicht erhalte? Das war für Adolphi wohl kaum ein Grund, sich von
dem Enchiridion zu trennen. Ich wühlte in meinen
fiebrigen Gedanken herum und suchte nach einer besseren Antwort. Doch
statt eine zu finden, sah ich immer wieder nur meinen Onkel. Jetzt
erkannte ich, dass sein Gesicht von Fischen angefressen worden war.
Schleim und Wasser rann aus den Löchern. Mein Fieber schien noch
zu steigen.
    Nun hatte er die Dauner Straße erreicht, er stand vor
Adolphis Haus. In meiner Vision hob er die Hand.
    Und in diesem Augenblick klopfte es irgendwo.
    Adolphi zuckte zusammen. Auch ich zuckte zusammen. Das war nicht
in meinem wirren Fiebertagtraum geschehen. Es war Realität.

 
6. Kapitel
     
     
    Das Klopfen musste irgendwo aus den Tiefen des Gebäudes
gekommen sein. Auf Adolphi aber hatte es schreckliche Auswirkungen.
Er wirkte wie ein gehetztes Reh. Sofort rannte er zur Haustür,
wobei er leider das Enchiridion mitnahm. Rasch kam er
zurück. »Niemand«, murmelte er. »Sie haben es
doch auch gehört, oder?«
    Ich nickte. Inzwischen hatte ich mich wieder beruhigt. Entweder
war es das Klopfen eines Heizungsrohrs gewesen – es war

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