Somniferus
Wagens. Seine
Tochter? War er denn überhaupt verheiratet – oder
verheiratet gewesen? Jedenfalls musste ich warten, bis die junge Frau
gehen würde.
Und da sah ich es.
Das offen stehende Kellerfenster.
Es war nicht vergittert und so groß, dass ich bequem
hindurchschlüpfen konnte. Auch wenn ich auf ein solches
Glück gehofft hatte, war es mir doch sehr unwahrscheinlich
erschienen. Ich steckte Brecheisen und Messer vorsichtig in den
Hosenbund und sah mich kurz um. Es war, als sei dieses offene Fenster
ein Wink des Schicksals.
Und in gewisser Weise war es das auch.
Ich kletterte also vorsichtig durch das Fenster und blieb
unmittelbar dahinter in der Finsternis stehen, damit ich mitbekam,
wann die junge Frau das Haus verlassen würde.
Als ich in dem dunklen Keller wartete, kam mir ein beunruhigender
Gedanke: Was war, wenn die junge Frau die ganze Nacht hier
verbrachte? Konnte ich es dann wagen, auf Diebestour zu gehen? Das
Risiko wäre doppelt so hoch. Ich war hin- und hergerissen. Auf
was hatte ich mich da bloß eingelassen? Offenbar machte dieses
Buch alle, die damit in Berührung kamen, zu Verrückten
– auch mich. Wenn man mir noch vor zwei oder drei Wochen gesagt
hätte, dass ich bald im Keller eines Hauses hocken und darauf
warten würde, ein äußerst wertvolles Buch zu stehlen,
hätte ich das als irrige Fantasie abgetan. Und nun hockte ich
hier unten und wartete auf meine Chance.
Und sie kam.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit inzwischen vergangen war; die
Minuten krochen so träge dahin, dass sie sich wie Stunden
anfühlten. Aber schließlich hörte ich, wie die
Haustür geöffnet wurde, die sich nur wenige Meter links von
meinem Horchposten befand. Die junge Frau sagte: »Ich habe ein
ungutes Gefühl dabei, dich jetzt allein zu lassen. Soll ich
nicht doch besser über Nacht bleiben?«
Um Himmels willen, nein, hätte ich am liebsten gerufen.
»Es ist schon in Ordnung, Kind. Ich freue mich, dass dir das
Wohlergehen deines alten Vaters so am Herzen liegt, aber fahr nur
zurück nach Köln. Du musst morgen schließlich wieder
arbeiten…«
»Ich könnte eine Woche Urlaub nehmen. Das ist gerade
jetzt kein Problem.«
»Nein, nein, nicht nötig. Es geht mir gut. Du wirst
sehen, wenn ich in der kommenden Nacht endlich einmal durchschlafe,
bin ich wieder so fit wie ein junger Hirsch. Es geht mir ja schon
wieder viel besser. Ich weiß auch nicht, was in der letzten
Zeit mit meinen Nerven los ist. So war es seit Mutters Tod nicht
mehr. Aber dein Besuch hat mir sehr geholfen. Und jetzt spute dich,
mein Kind, damit du in dieser Nacht wenigstens noch ein bisschen
Schlaf bekommst.«
Ich hörte einen schmatzenden Kuss, dann klappernde Schritte,
das Schlagen einer Autotür, das Starten des Wagens. Dann setzte
der Wagen zurück und bog in die Dauner Straße ein; das
Geräusch des Motors verlor sich schnell in der Ferne.
Schließlich wurde die Haustür wieder geschlossen und Ruhe
kehrte ein. Jetzt waren wir beide allein – Adolphi und ich.
Ich wartete noch ein wenig, bis ich über mir keine leisen
Schritte mehr hörte. Meine Augen hatten sich längst an die
Dunkelheit gewöhnt und ich konnte einige Schemen in dem
finsteren Keller ausmachen: einen unförmigen Schrank, eine
Truhe, ein Regal an der gegenüberliegenden Wand, das mit
allerlei Gegenständen aufgefüllt war, welche wie bucklige,
schlafende Tiere wirkten – und die Treppe, die nach oben ins
Haus führte.
Mit großer Vorsicht bahnte ich mir einen Weg durch den
engen, vollgestellten Keller auf die Treppe zu. Ich durfte nicht den
geringsten Laut verursachen, denn ich wusste, dass Adolphi auf alles
lauschte, was in seinem Haus vorging.
Warum eigentlich? Hatte er Angst vor Einbrechern? Ich musste
unwillkürlich kurz grinsen, bevor mich das schlechte Gewissen
wieder einholte. Aber das Grinsen verging mir noch aus einem anderen
Grund.
Zu meinen Füßen ein ohrenbetäubendes
Scheppern.
Ich zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen, bückte mich
und griff nach unten. Es war eine blecherne Gießkanne gewesen,
die ich in den Schattenpfühlen um mich herum übersehen
hatte. Sie schwang noch einmal klappernd hin und her, dann hatte ich
sie gepackt und stellte sie vorsichtig in einiger Entfernung von mir
auf den Boden. Ich hielt den Atem an.
Über mir waren wieder Tritte zu hören.
Ich sah, wie plötzlich ein matter Lichtstreifen an der Wand
über der Treppe aufzuckte. Das musste ein Schlitz unter der
Kellertür sein. Ich war verloren, wenn Adolphi herunterkam.
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