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Somniferus

Somniferus

Titel: Somniferus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Siefener
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eine
prall gefüllte Einkaufstasche aus Jute in der Hand schlenkerte.
»Guten Tag, Herr Weiler«, sagte sie etwas verlegen.
»Ich wollte nur fragen, ob Sie vielleicht etwas nötig
haben? Ich muss jetzt einkaufen gehen.« Dass ihre volle Tasche
ihren Worten Hohn sprach, bemerkte sie offenbar nicht, so aufgeregt
war sie.
    »Das ist sehr freundlich von Ihnen«, rang ich mir
mühsam ab, »aber ich brauche im Augenblick nichts. Vielen
Dank.« Mein Mund war so trocken wie eine
Wüstendüne.
    Ich wollte schon die Tür wieder schießen, als Frau Junk
nachsetzte: »Ich finde, Sie sollten es erfahren;
schließlich gehören Sie ja jetzt dazu.« Sie sah mich
mit ihren großen, braunen Augen auf eine Weise an, die ich
nicht deuten konnte. Angst lag in ihrem Blick, auch Abscheu –
und gleichzeitig eine sonderbare Erregung.
    »Was sollte ich wissen?«, fragte ich.
    »Das von dem schrecklichen Mord in der letzten
Nacht.«
    »Ein Mord?« Ich versuchte, erstaunt zu klingen.
    »Ja, oben bei Adolphi. Stellen Sie sich vor, man hat den
armen alten Mann so lange gegen die Wand geschlagen, bis er tot war.
Wie einen Hund! Stellen Sie sich das mal vor!«
    »Das ist ja schrecklich!«, rief ich. Meine einzige
Schauspielerfahrung bestand aus einer Schulaufführung in der
fünften Klasse, in der ich einen am Boden Liegenden hatte mimen
müssen. »Wie grauenhaft!« Wirkte es?
    »Die Polizei befragt gerade die Nachbarn und ich habe
gehört, dass die junge Frau Adolphi – die Lisa, die jetzt
in Köln wohnt – den Mörder gesehen hat. Ganz
schrecklich und irr hat er ausgesehen, habe ich gehört, wie ein
Verrückter. Dann hat er sie niedergeschlagen und ist wie der
Blitz aus dem Ort gelaufen – in die Felder in Richtung
Bleckhausen. Stellen Sie sich das mal vor!«
    Langsam wurde mir klar, wie Gerüchte entstehen. »Hat man
ihn denn schon gefasst?«, fragte ich scheinheilig.
    »Leider noch nicht. Selbst in unserem schönen
Manderscheid kann man nachts nicht mehr ruhig über die
Straße gehen. Bald ist es hier so wie in den
Großstädten, das sage ich Ihnen!« Dann fügte sie
wie beiläufig hinzu: »Ist Ihnen denn nichts
aufgefallen?«
    Ich wurde nervös. »Mir? Warum sollte mir denn etwas
aufgefallen sein?« Ich sah sie scharf an.
    Sie gab sich einen sichtbaren Ruck. »Na, weil Sie doch
gestern erst spät in der Nacht nach Hause gekommen
sind.«
    Mir schlug das Herz bis zum Halse. Erwischt! »Woher wissen
Sie das?«, fragte ich krächzend.
    »Ich habe Sie ganz zufällig durch das Küchenfenster
gesehen.«
    War es wirklich vorbei? Hatte sie es der Polizei schon gesagt?
Warum hatte mich noch niemand verhört? Fieberhaft überlegte
ich, was ich antworten sollte. Schließlich sagte ich nach einer
Pause, die nach meinem Empfinden verdächtig lang war: »Sie
haben Recht, ich war gestern Nacht draußen. Ich hatte noch
einen kleinen Spaziergang gemacht, aber ich war nicht im Ort, sondern
im Wald.«
    »Nachts?« Sie machte ein ungläubiges Gesicht.
»Warum denn?«
    »Ich… ich konnte nicht schlafen und da ich gerade an
einem neuen Roman arbeite, brauchte ich etwas Frischluft und
Inspiration, und die erhalte ich am ehesten in der Natur.«
    »Ach, Sie sind Schriftsteller!« Das klang so, als
würde es alles erklären – alles und noch viel
mehr.
    Ich hatte wohl das Richtige gesagt, denn ich sah, wie sie
aufatmete. »Na ja, dann ist ja alles klar. Ich habe meinem Karl
ja gleich gesagt, dass er auf dem Holzweg ist. Ich habe es nie
glauben wollen. Sie sind doch so ein netter Mensch – so ganz
anders als Ihr Onkel. Na ja, wenn ich Ihnen nichts mitbringen kann,
mache ich mich jetzt besser auf den Weg. Auf Wiedersehen.«
Anstatt in den Ort ging sie zu ihrer Tür, schloss sie auf und
verschwand im Inneren. Sie war nicht sehr konsequent.
    Ich verkroch mich wieder im Haus. Also hatte mein Nachbar, den ich
bisher noch nicht gesehen hatte, bereits seine – gar nicht mal
so falschen – Schlüsse gezogen. Nun konnte ich nur hoffen,
dass Frau Junk ihren Mann von meiner Unschuld überzeugen konnte,
an die sie offenbar fest glaubte. Hier saß ich auf einem
Pulverfass. Ich hatte mir keine Vorstellungen davon gemacht, wie eng
man in einem Dorf zusammenlebt – auch wenn Manderscheid
inzwischen zur »Stadt« geadelt worden war. Wem mochte Frau
Junk noch erzählt haben, dass sie mich mitten in der Nacht
– in der Mordnacht – auf der Straße gesehen
hatte?
    An jenem Tag verließ ich das Haus nicht mehr. Wenigstens
erhielt ich keinen weiteren Besuch. Am nächsten Tag blieb

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