Somniferus
auch
an einem der Pfosten des aufwendigen Regalsystems. Viel Blut. Und
Gehirnmasse.
Adolphis Schädel war eingeschlagen; es war, als sei er mit
großer Wucht immer wieder gegen den Pfosten gehämmert
worden.
Dieser Anblick war zuviel für mich. Ich vergaß das Enchiridion, mein Erbe, einfach alles. Ich wollte nur noch
fliehen. Ich stolperte in den Flur hinaus und hastete auf die
Haustür zu.
Und eigentlich hätte ich es sehen müssen.
Das Licht. Das Licht, das von draußen in die Diele fiel. Als
ich vorhin in der Diele gestanden hatte, war es viel dunkler gewesen.
Aber ich hätte nicht einmal bemerkt, wenn ein
Düsenjäger direkt auf mich zugeflogen wäre. Ich riss
die Tür auf – und stand jener jungen Frau gegenüber,
die noch vor kurzem bei Friedrich Adolphi zu Besuch gewesen war.
Seiner Tochter.
7. Kapitel
Es war lediglich ein Reflex gewesen, die junge Frau einfach zur
Seite zu drücken. Sie hatte noch gar nicht verstanden, was
eigentlich los war, als ich bereits die Dauner Straße erreicht
hatte und in Richtung Kirche lief. Als ich am nächtlichen,
verwaisten Ceresplatz angekommen war, hörte ich gedämpft
aus einiger Entfernung den Schrei.
Den Schrei der jungen Frau.
Sie hatte ihren Vater gefunden. Ich lief noch schneller. Sie
musste nur zwei und zwei zusammenzählen und unweigerlich zu dem
Ergebnis kommen, dass ich ihren alten Herrn umgebracht hatte. Was
wieder einmal beweist, dass zwei und zwei längst nicht immer
vier ergibt.
Halb erwartete ich, dass sie hinter mir herlaufen und »Haltet
den Mörder« schreien würde. Doch es blieb alles ruhig
auf Manderscheids Straßen. Jetzt hatte ich die Sparkasse
erreicht, dann die Apotheke, den kleinen Zeitungs- und Souvenirladen
und das Gasthaus Postillion. Hier brannte noch Licht und
jemand drückte die Tür zum Wirtshaus langsam von innen auf.
Er durfte mich nicht sehen. Ich rannte einige Meter weiter und
presste mich in den tiefen Hauseingang neben der Metzgerei Metzgeroth. Tatsächlich kam jetzt jemand hinter mir her.
Doch von dieser Person hatte ich offenbar nichts Böses zu
erwarten. Eine männliche Stimme grölte einen längst
vergessenen Schlager und die Schritte auf dem Pflaster klangen
bedenklich unsicher. Ich sah, wie er an dem tiefen Hauseingang, in
dem ich mich versteckt hielt, vorbeitorkelte. Dann brüllte er
etwas von einer »Marie«. Irgendwo wurde ein Fenster
geöffnet und eine weibliche, aber höchst kräftige
Stimme rief: »Halt’s Maul, Heinz!« Der so schnöde
gestörte Sangesfreund brummelte etwas, was ich nicht verstehen
konnte, doch dann machte er sich schweigend davon.
Was mochte nun im Hause Adolphi los sein? Die junge Frau tat mir
unendlich Leid. Sie würde den Anblick ihres toten Vaters nie
vergessen können.
Ich erreichte mein Haus ohne einen weiteren Zwischenfall und
spähte noch einmal die Burgstraße hinauf und hinunter,
bevor ich die Tür aufschloss. Alle Fenster waren wie schwarze
Augenhöhlen; nur vor der Pension Haus Sonneck, die durch
die kleine Stichstraße von meinen eigenen Anwesen getrennt war,
brannte bleich und kränklich eine alte Straßenlaterne. Ich
betrat mein Haus.
* * *
Ist es verwunderlich, dass ich in jener Nacht sehr schlecht
schlief? Als ich aufwachte, fühlte ich mich, als sei ich unter
einen LKW gekommen.
Ich machte mir Frühstück, bekam aber keinen Bissen
herunter. Erst jetzt begriff ich allmählich meine Situation. Ich
hatte das Buch nicht bekommen und auch keine Gelegenheit mehr dazu,
denn bestimmt wimmelte es im Hause Adolphi nun von Polizisten. Ich
war von Adolphis Tochter dabei überrascht worden, wie ich das
Haus ihres Vaters fluchtartig verließ; also musste ich ihrer
Meinung nach der Mörder sein. Es war somit nur eine Frage der
Zeit, wann die Polizei mich ausfindig machen und jagen
würde.
Den ganzen Vormittag wagte ich nicht, aus dem Haus zu gehen. Ich
saß reglos in der Küche und erwartete das Eintreffen der
Polizei.
Schließlich – es war gegen ein Uhr mittags –
schellte es.
Das waren sie! Sie hatten mich gefunden. Es war aus. Wie sollte
ich bloß meine Unschuld beweisen? Einen Augenblick lang
überlegte ich, ob ich durch das Fenster in der Bibliothek
klettern und durch die kleinen Gemüsegärten hinter dem Haus
fliehen sollte. Aber was brachte das? Das Haus war sicherlich schon
umstellt. Also erhob ich mich seufzend von dem unbequemen
Küchenstuhl und ging zur Tür. Mit einem Ruck zog ich sie
auf.
Es war nicht die Polizei. Es war Frau Junk, die aufgeregt
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