Somniferus
mir
jedoch nichts anderes übrig, als vom Rest der fünfzig Euro,
die Notar Harder mir zugesteckt hatte, etwas zu essen zu kaufen. Ich
ging hoch zum großen Supermarkt im Gewerbegebiet, kaufte dort
etwas Käse, Aufschnitt und eine Zeitung und sah zu, dass ich
möglichst schnell wieder in Onkel Jakobs Haus verschwand.
Als ich den Trierischen Volksfreund aufschlug, verging mir
der Appetit auf das eben Gekaufte. Im Regionalteil stieß ich
auf eine ausführliche Berichterstattung über den Mord an
Adolphi. Und es gab auch ein Phantombild des Täters.
Glücklicherweise besaß es keine sehr große
Ähnlichkeit mit mir.
Natürlich wurde ich – also der Mann, der aus dem Haus
gestürmt war, als Lisa Adolphi noch einmal zurückgekehrt
war, weil ihr der Zustand ihres Vaters keine Ruhe gelassen hatte
– des Mordes an dem Bibliophilen verdächtigt. Es wurde
jedoch in dem Zeitungsbericht ausdrücklich erwähnt, dass
nichts aus dem Haus gestohlen wurde; die Polizei ging davon aus, ich
sei ein Einbrecher, der bei seiner Tat vom Hausherrn überrascht
wurde. Die Frage, warum ich Adolphi mühsam und zeitraubend am
Pfosten seiner eigenen Bibliothek zu Tode brachte, anstatt einfach
das Weite zu suchen, hatte sich wohl keiner der Herren Kommissare
oder Journalisten gestellt.
Lisa Adolphi tat mir unsäglich Leid. In einem kurzen
Interview erklärte sie, dass ihr Vater in der letzten Zeit etwas
sonderbar gewesen sei und sie sich um ihn Sorgen gemacht habe. Worin
diese Sonderbarkeit lag, wurde nicht erklärt; der Reporter
schien auf diesen Teil ihrer Aussage nicht den geringsten Wert gelegt
zu haben.
Ich faltete die Zeitung wieder zusammen und durchstreifte unruhig
das Haus. Was sollte ich bloß tun? Ich hätte der jungen
Frau Adolphi so gern erklärt, dass ich ihren Vater nicht
umgebracht hatte. Ich ging in die Bibliothek, ließ mich schwer
in einen der Sessel fallen und sah durch das Fenster nach
draußen auf die Silhouette der Oberburg, die sich über dem
zartgrünen Laubwerk der Eichen wie ein Ausrufezeichen erhob. Wie
ein Ruf, der bis in den Himmel schallt. Wie ein Bollwerk. So anders
als ich selbst. Ich verfluchte mich wegen meiner Schwäche. Immer
hatte ich erwartet, dass das Schicksal mir gnädig sein
würde, ohne je den Versuch zu machen, es selbst zu bestimmen. Es
war ja so einfach, sich als gescheitertes Literaturgenie zu sehen,
wenn alles, was man für den eigenen Erfolg unternimmt, darin
besteht, einen Roman zu schreiben und ihn dann zu Verlagen zu
schicken. Ich hätte mehr tun müssen, für mein Werk
werben müssen, das persönliche Gespräch suchen und
überzeugen müssen. Aber wie konnte ich einen Verleger
überzeugen, wenn ich nicht einmal von mir selbst überzeugt
war? Sollte ich mich wirklich wundern, dass niemand von mir Notiz
nahm? Wollte ich es vielleicht sogar so? Ich war ein Schlappschwanz;
mir fehlte es an Mumm. Was hätte ich nicht alles aus der Welt
räumen können in jener Nacht, wenn ich das Gespräch
mit Lisa Adolphi gesucht hätte? Ich hätte die Umstände
darlegen können und schließlich hätte sie mir glauben
müssen. Aber stattdessen hatte ich wieder einmal gekniffen
– wie immer in meinem bisherigen Leben. Ich stellte mich nicht
den Problemen, sondern wich ihnen lieber aus und wartete darauf, dass
sie sich von selbst lösen.
Aber sie lösen sich nicht von selbst.
Ich stand auf, lief durch die Bibliothek wie ein Tiger durch
seinen viel zu engen Käfig und dachte nach. Natürlich
durfte ich nicht zur Polizei gehen – nicht, nachdem ich bereits
zwei Tage gewartet hatte.
Aber was war, wenn ich Lisa Adolphi aufsuchte? Wenn ich den
Versuch machte, sie von meiner Unschuld zu überzeugen? Nein, das
war ein verrückter Gedanke. Vielleicht war sie ja schon wieder
in Köln und ich würde in Adolphis Haus nur der Polizei in
die Arme laufen. Aber je länger ich mich verbarg, desto schwerer
würde ich es mit meiner Verteidigung haben. Dass ich unentdeckt
blieb, konnte ich mir nicht vorstellen. Ich hatte zu viele Thriller
gesehen und gelesen und wusste daher über die hervorragenden
technischen Möglichkeiten der Polizei so gut Bescheid, wie ein
Laie Bescheid wissen kann. Außerdem wurde in einem Thriller der
Täter zum Schluss ausnahmslos der gerechten Strafe
überführt – wie immer diese auch aussehen mochte.
Ich setzte mich wieder, sprang wieder auf. Mein Blick glitt
über die Buchrücken. Das Enchiridion… Ich hatte
nicht nur eine Fahndung am Hals, sondern auch noch mein Erbe
verloren. Bald würde
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