Somniferus
hatte, und ging zur verriegelten Tür.
Ich steckte schnell den Brief ein und hastete hinter ihr her.
Bevor sie noch auf die Klingel drücken konnte, damit man sie
herausließ, hatte ich meine Hand schützend über den
Knopf gelegt.
»Lassen Sie mir wenigstens das Buch hier«, bettelte
ich.
»Warum? Es gehört mir. Mein Vater ist vermutlich
deswegen gestorben. Wie können Sie es wagen, so etwas von mir zu
verlangen?«
»Ich… ich dachte, Sie hätten an dieser Suche
ebenfalls ein Interesse.«
»Vielleicht, aber es geht längst nicht so tief wie
Ihres, denn es macht meinen Vater nicht wieder lebendig. Und jetzt
nehmen Sie Ihre Hand da weg!«
Sie versuchte, meine Hand wegzuzerren. Die Berührung mit
ihren Fingern war alles andere als unangenehm. Sie sah mich an. Ihr
Blick war bei weitem nicht so fest, wie ihre Worte es angedeutet
hatten.
»Wir sollten uns das Buch wenigstens einmal ansehen.
Vielleicht gibt es darin ja gar keinen Hinweis auf dieses
Götterbildnis. Dann können wir die ganze Suche
getrost vergessen. Ist das denn zuviel verlangt?«
Sie presste die Lippen zusammen. Wut, Angst, Neugier und Trauer
kämpften in ihr, doch es kam zu keiner Entscheidung. Sie stand
nur da und sah mich mit zusammengekniffenen Lippen an.
»Ich mache Ihnen einen Vorschlag«, sagte ich. »Ich
lade Sie in ein Café ein und dort schauen wir uns das Buch
gemeinsam an. Ich könnte jetzt wirklich etwas zu essen
vertragen. Sie nicht?«
Ihre Gegenwehr weichte auf. »Also werfen wir einen Blick
hinein. Aber danach nehme ich mein Buch wieder mit und Sie ziehen
Ihres Weges, der den meinen hoffentlich nie wieder kreuzen
wird.«
Zähneknirschend erklärte ich mich damit einverstanden.
Ich klingelte und wir wurden aus unserem neongrellen Gefängnis
befreit. Nun fieberte ich darauf, einen Blick in das rätselhafte Enchiridion zu werfen.
11. Kapitel
Lisa Adolphi schlug das Café Schuler in der
Leopoldstraße vor. Wir saßen an einem Tisch im
Raucherbereich, weil der vordere Nichtraucherteil bereits mit
älteren Damen verstopft war.
Nach dem Essen, bei dem wir wenig miteinander sprachen und den
eigentlichen Grund unseres Beisammenseins beide unerwähnt
ließen, beugten wir uns über das Buch. Ich rückte
dabei noch etwas näher an Lisa Adolphi heran; wenigstens wich
sie nicht vor mir zurück. Das Werk war wie ein Lexikon
aufgebaut, sodass wir den Artikel über Somniferus rasch fanden.
Camerarius beschrieb zunächst die etymologische Herleitung des
Namens, dann die Herkunft des Kultes aus dem kleinasiatischen Raum,
wobei er einige gewagte Parallelen zum Mithraskult zog, und danach
wandte er sich den bildlichen Darstellungen zu.
Somniferi Bildnisse sind derer wenige, worannen erkenntlich
ist, daß dem Cultus zu keiner Zeit weit verbreitet war, DEO
gratias! Fragmenta einiger Statua im Museo zu Neapel werden als
deß Gottes Somniferus gehörig ausgegeben, ist aber
keinerley Beweiß dero Thatsache angeführet, doch muß
allhier erörteret werden, waß ich selber vor nit langer
Zeit gesehen hab. An einem Orthe, wo ich niemalen geglaubt hett,
eines Abbilds dieses Monstrums angesichtig zu werden, mußten
mein Auggen inmitt der Eiflia die abschewliche Monstrositet
warnehmen, die ohn Zweiffel dem Gotte Somniferus zuzuordnen
war, so wie ich ihn andernorts bemercket. Unnt schlimmer noch deucht
mich, daß die vielen frommen Patres, wo täglich an jenem
newen Bilde vorbeiliefen, es nit realisiret, weil selbiges under so
vielen anderen gleichsam verschwandt. Unnd die Sonn scheinet durch
unnd die Stern unnt sie sehen es nit. Hab nit gewagt, dem Pater Abbas
bescheid zu geben ob gemeltem Bilde, auf das nit Schlimmeres geschen
mag. Isst ein Daemon, wo nit aussiehet wie ein gewönlicher
Daemon, sondern dero Kopff in einer Wolcken unnt Sternen stecket, wo
zeiget den Schlaff. Und sein Kopff ist selbsten ein Wolcken und seine
Hend wie Schlangen so sich windenn in die Kopff dero Schleffer unnt
reißen heraus sein Seel. Und seine Fieß seynd wie
saeulen, woher erhellet, waß jene gesagt, welchselbige der
Daemon heimgesucht, nemlich daß er poltre wie ein Gigantum und
des Lerms so vielen mache, wo nur die hören könne, welche
auserwehlt, in ihm zu sterben. Unnt er sey so groß wie die
gantze erden unnt dunckle das Firmament. Wehe dem, der seiner
gedencke!
Hier endete der Abschnitt über die obskure römische
Gottheit.
»Verstehen Sie das?«, fragte mich meine Begleiterin.
Ich schüttelte den Kopf. »Unsinniges Kauderwelsch«,
murmelte
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